junge Welt 11.11.2000 Coup gegen Arafat abgewehrt? Spekulationen um israelischen Angriff auf palästinensischen Fatah-Führer Mit der gezielten »Liquidierung« des militanten lokalen Fatah- Führers Hussein Sujef Abejad, der am Donnerstag im südlichen Westjordanland bei einem Raketenangriff auf sein Auto gemeinsam mit den anderen Insassen, einschließlich zweier Frauen, getötet wurde, scheint die israelische Armee eine Politik zu betreiben, die ironischerweise den Palästinenserführer Arafat stärken soll. Denn Arafat hat in den letzten Wochen unter den Palästinensern viel an Prestige und Unterstützung verloren. Dies bestätigte auch die israelische Tageszeitung Haaretz Daily in ihrer Donnerstag- Ausgabe. Dabei beruft sie sich auf einen Bericht eines nicht näher bezeichneten europäischen Geheimdienstes, der davor warnt, daß militante Palästinenseranführer aus der zweiten Reihe einen Coup gegen ihren angeblich zu laschen Chef Arafat planten. Der Coup sollte anscheinend während des zur Zeit stattfindenden Besuchs Arafats in Washington durchgeführt werden. Israelische und amerikanische Geheimdienste würden die Warnung in dem Bericht ernst nehmen, daß Arafat scheinbar »die Kontrolle verloren hat, hauptsächlich im nördlichen Teil der Westbank zwischen Ramallah und Dschenin« und daß dort die Macht in den Händen von Marwan Barghouti liege, einem lokalen Führer der Fatah. Folgt man dem Geheimdienstbericht, dann würden paramilitärische Kräfte der Palästinenser Gewehr bei Fuß stehen, um in verschiedenen Teilen der Westbank die Kontrolle an sich zu reißen. In einem solchen Szenario würden innerhalb von Stunden die halbstaatlichen Strukturen der »Palestinian Authority« Arafats zusammenbrechen und die Macht würde unter verschiedenen militanten Fraktionen der Palästinenser aufgeteilt. Diese Tendenz wird auch durch das ägyptische Wochenmagazin Al-Musawar bestätigt, das letzten Mittwoch ein Telefoninterview mit Barghouti veröffentlichte, in dem der Fatah-Führer seinen Chef Arafat mit einem Ultimatum konfrontierte: In Washington dürften keine Deals gemacht werden, die die laufende Intifada der Palästinenser stoppen würde. Zugleich verlangte Barghouti das Ende der Rolle der Amerikaner als einziger Sponsor des arabisch-israelischen Friedensprozesses. Wahrscheinlich sollte es ein Zeichen für Arafat sein, daß die Israelis und die Amerikaner ihm notfalls gegen die militanten Kräfte aus den eigenen Palästinenserreihen den Rücken frei halten. Nur so würde der gezielte Angriff des Sonderkommandos der israelischen Luftwaffe Sinn machen, bei dem zwei Apache-Kampfhubschrauber panzerbrechende Raketen auf das Auto Hussein Abejads abfeuerten. Der Angriff fand nur wenige Stunden vor dem Zusammentreffen des US-Präsidenten Clinton mit Arafat statt und sollte letzterem womöglich das Gefühl der Sicherheit und freie Hand für einen neuen Deal mit den Israelis geben. Interessant ist, daß bisher nur die militanten Fatah-Vertreter den Hubschrauberangriff verurteilt haben. Barghouti bezeichnete ihn als Mordanschlag. Er erwartete von der Fatah-Organisation eine Reaktion. Von Arafat aus Washington war jedoch bisher keine Verurteilung des Angriffs zu hören. Ironischerweise könnte der Hubschrauberangriff auch darauf hindeuten, daß in Geheimverhandlungen zwischen Israelis und Arafat Fortschritte bei der Anwendung des jüngsten Waffenstillstandsabkommens von Scharm el Scheich gemacht werden. Die Präzision des israelischen Angriffs auf Hussein Abajad läßt vermuten, daß der von der CIA aus- und fortgebildete palästinensische Geheimdienst Arafats wieder mit den Israelis kooperiert. Kooperiert, um jene Fatah-Kreise zu entmachten, die die Intifada außerhalb der Kontrolle Arafats fortführen wollen. Rainer Rupp
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