Frankfurter Rundschau 11.11.2000 Einwanderer sind keine Belastung, sondern oft genug Bereicherung Die Ausländerpolitik darf nicht länger von Polizei- und Ordnungsrecht bestimmt werden / Das Zuwanderungskonzept von Bündnis 90 / Die Grünen Nach der CDU (FR-Dokumentation vom 8. November) haben auch die Bündnisgrünen ein Konzept zur Ausländer- und Einwanderungspolitik vorgelegt. Sie sprechen sich darin für umfassende gesetzliche Einwanderungsregelungen noch in dieser Wahlperiode aus. In ihrem Papier "Einwanderung gestalten, Asylrecht sichern, Integration fördern" plädiert die Partei auch dafür, dass Bundestag und Bundesrat Quoten für Zuwanderer festlegen sollten. Wir dokumentieren das Papier auf dieser und der folgenden Seite in einer gekürzten Form. Es ist in voller Länge zum Beispiel im Internet unter der Adresse www.gruene.de zu finden.
Seit ihrer Gründung haben die Grünen ihre Aufgaben darin gesehen, in der Gesellschaft das Verständnis für Zuwanderer und Flüchtlinge zu stärken und Migration im Interesse aller Menschen in unserer Gesellschaft politisch zu akzeptieren und zu gestalten. In den Bundesländern und Kommunen setzen sich die Grünen mit konkreten Konzepten für die Gleichberechtigung von Einwanderern und für den Schutz von Flüchtlingen ein und für die Integration. Die Bundestagsfraktion hat bereits in der vergangenen Legislaturperiode ein Einwanderungsgesetz in den Bundestag eingebracht. Mit der Staatsbürgerschaftsreform, der Green-Card-Regelung für ausländische IT-Spezialisten und der Schaffung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts für ausländische Ehegatten hat die rot-grüne Bundesregierung sich daran gemacht, das Einwanderungsland Deutschland zu gestalten. Aus Sicht von Bündnis 90/Die Grünen müssen sowohl ein Einwanderungsgesetz wie auch Maßnahmen zur Verbesserung der Integration auf der Grundlage einer klaren Werteorientierung erarbeitet werden. Grüne Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik verbindet deshalb die Grundsätze einer demokratischen, menschenrechtlich humanen und weltoffenen Politik mit den wirtschaftlichen und kulturellen Interessen unseres Landes. Nur ein Konzept, das auf diesem Fundament aufbaut, wird den Anforderungen an eine moderne Einwanderungsgesetzgebung für Deutschland als Teil eines vereinigten Europas im 21. Jahrhunderts gerecht werden. Nur ein modernes und weltoffenes Land, das seinen humanitären Verpflichtungen aktiv nachkommt und den kulturellen Austausch von Menschen und Ideen offensiv fördert und gestaltet, kann in Zeiten fortschreitender Globalisierung erfolgreich sein. Wir wollen noch in dieser Legislaturperiode eine möglichst umfassende gesetzliche Regelung der Einwanderung erreichen. Dabei wird es zum einen darum gehen, vorhandene Gesetze und Verordnungen auf ihre Zukunfts- und Europatauglichkeit hin zu überprüfen. Zum anderen müssen wir bislang nur unzureichend oder ganz ungeregelte Bereiche der Einwanderung transparent und unbürokratisch gestalten - für Zuwanderer wie auch für die Menschen in unserem Land. Gleichzeitig müssen wir gemeinsam mit Ländern und Kommunen die Wege zur Integration, zum gleichberechtigten Zusammenleben von Inländern und Zuwanderern hinterfragen und optimieren. Das Arbeitsergebnis der Einwanderungskommission beim Bundesinnenminister, das im ersten Halbjahr 2001 vorgelegt werden soll, wird zu diesen Fragen wichtige Perspektiven aufzeigen. Entscheidend wird sein, ob alle im Bundestag vertretenen Parteien an diesem Prozess konstruktiv mitwirken. Wir wenden uns gegen jeden Versuch, das Thema aus populistischen Gründen auf dem Rücken hier lebender zugewanderter Menschen im Wahlkampf zu missbrauchen. Wir müssen Chancen und Vorteile von Einwanderung benennen und gleichzeitig Wege aufzeigen, wie die Probleme und Herausforderungen an eine von Einwanderung geprägte Gesellschaft gemeinsam bewältigt werden können. Deutschland braucht eine sachliche Debatte und von Vernunft geprägte Entscheidungen über die Gestaltung ihrer Einwanderungs- und Integrationspolitik. Eine zeitgemäße Migrationspolitik kann nur eine europäische Migrationspolitik sein. Die Erweiterung der Europäischen Union erfordert anstelle von Abschottung die politische Gestaltung von Migration. Die Debatte über die deutsche Einwanderungspolitik muss daher sowohl zu einer modernen nationalen Einwanderungsgesetzgebung führen als auch die Position Deutschlands im Prozess der Entwicklung gemeinsamer europäischer Regelungen in der Einwanderungspolitik klären. Dazu wollen wir mit den hier vorgelegten Vorschlägen beitragen. II. Zusammenfassung der Vorschläge Die drei Säulen der Einwanderung Einwanderung erfolgt aus unterschiedlichen Gründen und Interessen. Wir unterscheiden 3 Säulen der Einwanderung: - Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen, insbesondere zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs, - Einwanderung aus politischen oder humanitären Gründen, - Einwanderung auf Grund von Rechtsansprüchen, so bei der Asylgewährung, beim Familiennachzug und im Rahmen der EU-Freizügigkeit. Bei diesen drei Säulen der Einwanderung gibt es sehr unterschiedliche Gestaltungsspielräume für gesetzliche Regelungen. Und sie beruhen auf unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen. Sie können nicht mit einem einheitlichen Regelwerk politisch gestaltet und gesteuert werden. Sie erfordern flexible und differenzierte Verfahren, die gleichermaßen den Interessen unserer Gesellschaft und denen der Zuwanderer gerecht werden. Flexible und differenzierte Steuerung statt starrer Gesamtquoten Das in der Einwanderungsdebatte häufig diskutierte Mittel einer Gesamtquote, die alle Bereiche der Einwanderung erfassen soll, ist zu starr und unflexibel und ist daher ein denkbar untaugliches Gestaltungsinstrument in der Einwanderungspolitik. Das Drei-Säulen-Modell macht deutlich, dass Einwanderung aus unterschiedlichen Gründen auch mit unterschiedlichen Instrumenten gesteuert werden muss. Die verschiedenen Zuwanderer dürfen und können nicht gegeneinander aufgerechnet und ausgespielt werden. Bürgerkriegsflüchtlinge lassen sich nicht gegen IT-Spezialisten aufrechnen. Es macht einfach keinen Sinn, notwendige Arbeitsmigration stark zu beschränken, wenn etwa im Falle von Bürgerkriegen Flüchtlingen aus humanitären Gründen vorübergehend Schutz gewährt werden muss. Das individuelle Grundrecht auf Asyl, auf Schutz vor politischer Verfolgung, kann ohnehin nicht quotiert werden. Die Debatte über eine Gesamtquote ist zudem eng verknüpft mit der Vorstellung von Einwanderung vor allem als gesellschaftlicher Belastung. Wir müssen aber zukünftig in unserem eigenen Interesse die Chancen von Einwanderung in den Mittelpunkt öffentlicher Diskussionen stellen. Eine objektiv messbare "Belastungsgrenze" gibt es nicht, denn die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft hängt vor allem von ihrer Integrationsbereitschaft ab. Politische Debatten müssen dazu beitragen, diese zu stärken, anstatt in unverantwortlicher Weise alte und neue Vorurteile zu schüren. 1. Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen Wir schlagen ein neues gesetzlich verankertes Verfahren zur regelmäßigen Festlegung des Bedarfs an Arbeitskräften vor. Die Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen ist bislang unsystematisch und unzureichend durch Rechtsverordnungen geregelt. Im Sinne von Transparenz und Demokratie soll zukünftig in regelmäßigen Abständen nach Anhörung der gesellschaftlichen Interessengruppen und unter Beteiligung von Bundestag und Bundesrat über wirtschaftliche Einwanderung entschieden werden. Sinnvoll können hier z. B. flexible Quoten sein, etwa für verschiedene Branchen, da der Bedarf dann nicht mehr im Einzelfall geprüft werden muss. Dies führt zu einer deutlichen Entbürokratisierung des Verfahrens. Insgesamt wollen wir einen gesetzlichen Rahmen schaffen, der je nach Bedarf unterschiedliche konkrete Verfahren bei der Einwanderung ermöglicht, wie beispielsweise die Einwanderung auf Grund bestimmter Qualifikationen oder auch auf Grund eines konkreten Arbeitsplatzangebots. Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen muss auf Dauer angelegt sein. Im globalen Wettbewerb um Menschen mit besonderen Qualifikationen wird Deutschland nur erfolgreich sein, wenn wir Zuwanderern eine dauerhafte Lebensperspektive bieten. Auch die Integrationsbereitschaft von Zuwanderern ist fundamental davon abhängig. Das Modell des "Rotationsprinzips" ist gescheitert. Die Fehler der "Gastarbeiterpolitik" der vergangenen Jahrzehnte mit den heute noch bestehenden fatalen integrationspolitischen Folgen dürfen sich nicht wiederholen. 2. Einwanderung aus politischen und humanitären Gründen Jeder souveräne Staat behält sich das Recht vor, Aufnahmeentscheidungen aus politischen und humanitären Gründen zu treffen - sei es auf Zeit oder auf Dauer. Beispiele sind die Aufnahme von Spätaussiedlern oder auch die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Ein Einwanderungsgesetz muss hier Handlungsspielräume schaffen und demokratische transparente Verfahren festlegen. Zukünftig sollte unter Beteiligung von Bundestag und Bundesrat in regelmäßigen Abständen entschieden werden, in welchen Größenordnungen welche Gruppen aus politischen und humanitären Gründen dauerhaft aufgenommen werden. Die Regierung muss in akuten Krisensituationen zudem den notwendigen Spielraum haben, über die aktive zunächst zeitweise Aufnahme beispielsweise von Bürgerkriegsflüchtlingen oder auch Opfern von Umweltkatastrophen aus dem Ausland schnell entscheiden zu können. Menschen, die aus politischen und humanitären Gründen zunächst vorläufig aufgenommen wurden, dann aber aus humanitären Gründen nicht in ihre Heimat zurückkehren können, müssen ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten können. Der Anspruch auf Prüfung eines Asylbegehrens muss auch für alle Bürgerkriegsflüchtlinge in vollem Umfang erhalten bleiben. Zusätzlich sollen Länder und Kommunen die Möglichkeit erhalten, individuell in einzelnen Härtefällen über ein dauerhaftes Bleiberecht entscheiden zu können. 3. Einwanderung auf Grund gesetzlichem Anspruch Die vorhandenen Regelungen zum Familiennachzug und Asyl sind individuell einklagbare verfassungsrechtliche und gesetzliche Ansprüche, auf die sich die Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich und völkerrechtlich verpflichtet hat. Auch die Binnenwanderung von Arbeitnehmern und Dienstleistern in der EU basiert auf Rechtsansprüchen, die durch nationale Rechtssetzung nicht zu relativieren sind. Das Steuerungsinstrument der Quote ist in diesen Bereichen der Einwanderung nicht tauglich. Das Recht auf Familienzusammenführung ist Grundlage für ein selbstbestimmtes Familienleben und damit eine maßgebliche Voraussetzung für Integration. Wir sehen deshalb die Notwendigkeit zur Überarbeitung der geltenden nationalen Regelungen beim Familiennachzug: Die geltende Rechtslage beim Familiennachzug sollte auf Grund des veränderten gesellschaftlichen Familienbildes modernisiert werden. Wir unterstützen die Vorschläge der EU-Kommission für die Festlegung von erweiterten Möglichkeiten beim Familiennachzug. Im Sinne der Beschlüsse auf dem EU-Gipfel von Tampere sollten Zuwanderer aus Drittstaaten bei der Familienzusammenführung mit EU-Bürgern gleichgestellt werden. Das Grundrecht auf Asyl steht für uns nicht zur Disposition. Im Gegenteil sehen wir beim Schutz von Asylbewerbern erheblichen Nachbesserungsbedarf, da der tatsächliche Schutzbedarf deutlich über der aktuellen Anerkennungsquote liegt: Maßstab für die Asylgewährung muss allein wieder die Frage werden, ob ein Asylsuchender tatsächlich schutzbedürftig ist. Dabei müssen zukünftig nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund anerkannt werden. Eine Beschleunigung der Asylverfahren kann und sollte durch eine deutlich verbesserte Qualität der Entscheidungen des Bundesamtes ermöglicht werden. Sie darf aus unserer Sicht nicht zu einer Reduzierung des rechtlichen Schutzes von Asylbewerbern führen. Wir schlagen zudem die Schaffung eines einheitlichen Aufenthaltsstatusses für Flüchtlinge vor, auf der Grundlage der Rechte, wie sie in der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehen sind. Gerade im Bereich des Flüchtlingsschutzes ist das entstandene "System der organisierten Unverantwortlichkeit" zwischen Bund, Land und Justiz zugunsten klarer Kompetenzzuweisungen aufzulösen. Integration fördern - Integrationshindernisse beseitigen "Toleranz darf nur eine vorübergehende Gesinnung sein; sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen." (Johann Wolfgang von Goethe) Staat und Politik haben die wichtige Aufgabe, die Bereitschaft zur Integration auf beiden Seiten nachhaltig zu stärken. Integration darf nicht der Zwang zur Assimilation sein. Voraussetzung für gelungene Integrationsprozesse ist die allgemeine Anerkennung der grundlegenden Werte, wie sie in unserer Verfassung festgelegt sind. Das gilt allerdings nicht nur für Zuwanderer, sondern auch für Deutsche. Die rechtsradikale Gewalt zeigt, dass dies leider nicht selbstverständlich ist. Auch die Möglichkeit zur Verständigung, also das Erlernen der deutschen Sprache ist von entscheidender Bedeutung für die Erfolgschancen zugewanderter Menschen. Ziel gelungener Integration ist gegenseitiges Kennenlernen, ist die Bildung einer gemeinsamen Gesellschaft auf der Grundlage von Gleichberechtigung und der im Grundgesetz verankerten Werte, der Erhalt wie auch die gegenseitige Beeinflussung vielfältiger kultureller Traditionen und die Entwicklung einer gemeinsamen "Kultur der Anerkennung". Der Staat, der Bund, aber insbesondere auch Länder und Kommunen schaffen für das Gelingen oder auch Misslingen von Integration wesentliche Rahmenbedingungen und tragen damit eine große Verantwortung. Die Bemühungen um Integration müssen zukünftig wesentlich besser koordiniert und verstärkt werden. Aus unserer Sicht sind dabei nachfolgende Ziele unabdingbar: Alle politischen Ebenen müssen Migrations- und Integrationspolitik als Querschnittsaufgabe begreifen und ihr in allen Fachbereichen den erforderlichen Stellenwert einräumen. Für alle Zuwanderergruppen müssen Integrationschancen geschaffen werden. Dazu gehört das obligatorische Angebot von Integrationskursen für alle Zuwanderer. Inhalte müssen das Erlernen der deutschen Sprache, eine politische Grundbildung sowie Kenntnisse über den Zugang zum Arbeitsmarkt sein. Die vorhandenen Integrationsangebote müssen besser koordiniert und ausgebaut werden. Alle Minderheiten müssen sich wirksam gegen jede Diskriminierung wehren können. Dafür brauchen wir ein bundesweites Anti-Diskriminierungs-Gesetz. Die politischen und gesellschaftlichen Beteiligungsmöglichkeiten müssen erweitert werden. Unser Ziel ist die Schaffung gleicher Rechte für alle Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben. Die Chancen von Zuwanderern und ihren Kindern, ihre Bildungs- und Berufschancen müssen im Sinne der Chancengleichheit deutlich verbessert werden. Dazu gehört auch ein erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt für alle Zuwanderer. III. Ausführliche Beschreibung und Begründung der Vorschläge Die drei Säulen der Einwanderung - Flexible und differenzierte Steuerung statt starrer Gesamtquoten Die Einwanderung von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland erfolgt aus den unterschiedlichsten Gründen und Interessen. Vorrangig sind: - Einwanderung aus wirtschaftlichen Erwägungen, insbesondere zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs, - Einwanderung aus politischen oder humanitären Gründen, - Einwanderung auf Grund von Rechtsansprüchen, so bei Asylgewährung, Familiennachzug und im Rahmen der EU-Freizügigkeit. Diese drei Säulen der Einwanderung sind in ganz unterschiedlichem Maße politischer Gestaltung und Steuerung zugänglich. Familiennachzug und Asyl folgen grundlegenden gesellschaftlichen Wertorientierungen, die als Rechtsansprüche, auf die sich die Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich und völkerrechtlich verpflichtet hat, gefasst sind. Auch die Binnenwanderung von Arbeitnehmern und Dienstleistern in der EU basiert auf Rechtsansprüchen, die durch nationale Rechtssetzung nicht zu relativieren sind. Dagegen war und ist der Arbeitskräftezugang aus Ländern, die nicht der EU angehören, in hohem Maße offen für politische Steuerung. Daneben und zusätzlich hat es immer staatliche Aufnahmeentscheidungen aus politischen und humanitären Gründen gegeben. Für souveräne Staaten sind solche Gestaltungsspielräume zur Aufnahme, etwa auf Grund historischer Verpflichtungen oder außenpolitischer Erwägungen, politisch unabdingbar und entsprechend klar auszugestalten. Diese unterschiedlichen Gestaltungsspielräume erfordern differenzierte Verfahren. Rechtsansprüche auf Asyl und Familiennachzug müssen subjektiv einklagbar sein. Hier sind die Gerichte gefragt. Die Entscheidung über den Zugang von Arbeitskräften aus Nicht-EU-Ländern erfordert den Ausgleich der verschiedenen Interessen im Wirtschaftsprozess. Hier sind flexiblere politische Entscheidungsverfahren erforderlich als etwa bei der Entscheidung über die langfristige Aufnahme aus politischen Gründen. Während hier grundsätzlich das Parlament gefragt ist, weil grundlegende gesellschaftliche Interessen tangiert sind, wird es immer wieder Situationen geben, in denen akuter Entscheidungsbedarf besteht und die Exekutive zu schnellem Handeln ermächtigt sein muss. Die Vorstellung, dieses vielschichtige Migrationsgeschehen mit einem einheitlichen Regelwerk politisch steuern zu können, muss - vor allem mit Blick auf die durch supranationales Recht gesetzten Grenzen nationaler Politik - somit Fiktion bleiben. Die Festlegung auf ein einheitliches Steuerungsmodell, wie etwa eine Gesamtquote für Einwanderung, würde bedeuten, dass einerseits Rechtsansprüche in Frage gestellt und in anderen Bereichen flexible Steuerungsmöglichkeiten von vorneherein verstellt werden. Zudem suggeriert eine solche Quote eine objektiv messbare gesellschaftliche Belastungsgrenze für Einwanderung. Aber die volkswirtschaftlichen Kosten und Erträge von Migration lassen sich genauso wenig saldieren wie sich die Integrationskapazität einer Gesellschaft statistisch abbilden lässt. Einwanderer sind keine Last, sondern oft genug eine Bereicherung. Einwanderer besetzen nicht nur Arbeitsplätze, sie schaffen auch welche. Und wie viel eine Gesellschaft in Migration zu investieren bereit ist, lässt sich nicht objektiv messen. Zudem würde das Modell der Gesamtquote dazu zwingen, die unterschiedlichen Zuwanderergruppen gegeneinander aufzurechnen. Aber Asylbewerber lassen sich schon aus rechtlichen Gründen nicht mit IT-Spezialisten verrechnen. Die bisherige Ausrichtung der Ausländer- und Asylpolitik an polizei- und ordnungsrechtlichen Vorstellungen ist mit der Zielsetzung einer modernen, auf den Interessen und Wertvorstellungen der bundesdeutschen Gesellschaft gründenden Einwanderungspolitik nicht vereinbar. Dem sollte auch durch eine Neuordnung der institutionellen Zuständigkeiten für Einwanderungspolitik Rechnung getragen werden. Die verschiedenen Aspekte von Einwanderung, Asyl und Integration müssen deshalb auf Seiten der Exekutive in einem Ministerium zusammengeführt werden. 1. Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen: Anwerbestopp beenden, die Arbeitskräfteeinwanderung flexibel gestalten "Die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland." Erst die neue Bundesregierung hat mit diesem staatlichen Dogma, das die bundesdeutsche Politik seit Jahrzehnten lähmt, gebrochen. #Und die aktuelle Entwicklung zeigt, wie notwendig dieser Schritt war. Trotz nach wie vor hoher Arbeitslosigkeit meldet die deutsche Wirtschaft, vom Handwerksmeister bis zur IT-Wirtschaft, in vielen Bereichen Bedarf an Einwanderung von Spezialisten an. Und die demographische Entwicklung macht bereits jetzt absehbar, dass diese Nachfrage, z. B. im Pflegebereich, weiter wachsen wird. Diesen Bedarf zu ignorieren hieße, wirtschaftliche Entwicklungschancen zu vergeben und damit Arbeitsplätze für alle aufs Spiel zu setzen. Allerdings ist die Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen auch gegenwärtig nicht ungeregelt - aber diese Regelungen sind unsystematisch und völlig unzureichend. Der Zugang ausländischer Arbeitnehmer wird vorwiegend über eine Vielzahl von - wenig transparenten - Ausnahmen vom so genannten "Anwerbestopp" gesteuert. Unklare Begriffe, wie der des "öffentlichen Interesses", öffnen der Willkür Tor und Tür und erhöhen den Legitimationsbedarf bei Entscheidungen in unnötiger Weise. Die Kontroverse um die Zulassung ausländischer IT-Kräfte war Beispiel genug, wie schwierig es ist, einen besonderen wirtschaftlichen Bedarf als öffentliches Interesse zu begründen. Ausländische Selbstständige haben gegenwärtig nur eine eher theoretische Chance, sich in der Bundesrepublik niederzulassen, da eine explizite Zugangsregelung im Ausländerrecht völlig fehlt und die Einwanderung ins Ermessen der Innenbehörden gestellt ist. Statt auch hier um die besten Köpfe und um Investitionen zu werben, werden mangels klarer Regelung Chancen vertan. Mit Blick auf die Anforderungen offener Arbeitsmärkte und einer zunehmend global agierenden Wirtschaft ist es deshalb unabdingbar, für diese Säule der Einwanderung Entscheidungsverfahren zu schaffen, mit denen flexibel auf die sich ändernden wirtschaftlichen Bedarfe regiert werden kann, die gleichzeitig aber die sozialverträgliche Gestaltung von Arbeitsmigration zulassen. Demokratische Kontrolle und Konsensbildung sicherstellen Aktuelle Entscheidungen über die Zulassung ausländischer Arbeitnehmer werden bisher auf der Verordnungsebene durch die Arbeitsaufenthaltverordnung und Anwerbestoppausnahmeverordnung geregelt. Diese werden in wenig transparenten und kaum demokratisch legitimierten Verfahren von der Exekutive erlassen und bei Bedarf geändert. Obwohl es hier um relevante gesellschaftliche Entscheidungen geht, hat der Bundestag praktisch kein Mitwirkungsrecht, sondern ist auf die - eher theoretische - Möglichkeit beschränkt, die Arbeitsaufenthaltverordnung insgesamt auszusetzen. Arbeitskräfteeinwanderung braucht jedoch gesellschaftlichen Konsens. Deshalb ist ein Verfahren zur regelmäßigen Abstimmung der Bedarfe an Arbeitkräfteeinwanderung gesetzlich zu verankern (Änderung des § 10 AuslG). Im Sinne von Transparenz und Demokratie soll zukünftig in regelmäßigen Abständen nach Anhörung der gesellschaftlichen Interessengruppen und unter Beteiligung von Bundestag und Bundesrat über wirtschaftliche Einwanderung entschieden werden. Differenzierte Steuerungsinstrumente schaffen Diese gesetzliche Regelung sollte Spielräume eröffnen für eine breite Palette von Steuerungsinstrumenten, um flexibel auf differenzierte wirtschaftliche und soziale Bedarfe reagieren zu können. (. . .) 2. Aufnahme aus politischen oder humanitären Gründen neu gestalten Jeder souveräne Staat behält sich das Recht vor, auf Grund von historischen oder politischen Verpflichtungen oder aus außenpolitischen oder humanitären Erwägungen Aufnahmeentscheidungen zu treffen. Dies gilt für die Aufnahme von Algeriern durch Frankreich oder von Osttimoresen durch Portugal ebenso wie für die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Kosovo durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Auch in der Bundesrepublik Deutschland findet eine solche Aufnahme aus politischen oder humanitären Gründen in erheblicher Größenordnung statt. Gedacht sei nur an die Aufnahme von Spätaussiedlern und ihrer Familien, von Flüchtlingen aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten, von Erdbebenopfern oder von Einzelpersonen zur medizinischen Versorgung (z. B. nach dem Giftgasangriff auf Halabja). Migrationspolitik muss solcherart übergeordneten Erwägungen Rechnung tragen und ihre Umsetzung differenziert ausgestalten. Transparente und demokratische Verfahren für die dauerhafte Aufnahme Bislang erfolgt die Aufnahme aus politischen oder humanitären Gründen auf der Grundlage verstreuter Detailregelungen. Entscheidungen werden häufig hinter den Kulissen unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen. Es fehlen transparente und demokratische Verfahren, die solche Aufnahmeentscheidungen demokratisch legitimieren. Insbesondere für die auf Dauer angelegte Aufnahme von Gruppen, so von Spätaussiedlern, ist eine einheitliche gesetzliche Regelung erforderlich, die sicherstellt, dass sich verändernden politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausreichend Rechnung getragen wird. Zukünftig sollte unter Beteiligung von Bundestag und Bundesrat in regelmäßigen Abständen in einem von der Aufnahme von Arbeitskräften unabhängigen Verfahren entschieden werden, in welchen Größenordnungen welche Gruppen aus politischen und humanitären Gründen dauerhaft aufgenommen werden. Ein solches Verfahren eröffnet flexible Steuerungsmöglichkeiten, stellt andererseits aber für die Zuwandernden eine gewisse Rechtssicherheit her. Mit Blick auf die sich ändernde Zusammensetzung des Spätaussiedlerzuzugs ist es sinnvoll, auch diese Gruppe künftig in ein solches vereinheitlichtes Verfahren der Einwanderung zu integrieren. Unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes sind dabei Übergangsregelungen zu schaffen. (. . .) 3. Einwanderung auf Grund von Rechtsansprüchen Familiennachzug: Schutz von Ehe und Familie auch für Angehörige aus Nicht-EU-Ländern Der Nachzug ausländischer Familienangehöriger steht unter dem grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie und ist deshalb als individueller Rechtsanspruch der im Inland bzw. in der EU ansässigen Ausländer auszugestalten. Die derzeitigen Regelungen zum Familiennachzug im Ausländergesetz gehen allerdings von einem sehr engen Familienbegriff aus und setzen zahlreiche Bedingungen für den Nachzug. Dies steht der Integration von langfristig hier lebenden Ausländern entgegen und führt zu unnötigen Härten. Es gilt daher, Rechtsansprüche auf Familiennachzug auszubauen. Wir teilen das beim EU-Gipfel in Tampere festgelegte Ziel, die Rechtsstellung von Angehörigen von Nicht-EU-Ländern der Rechtsstellung von EU-Bürgern anzugleichen. Die EU-Kommission hat einen Entwurf für eine europäische Familienzusammenführungsrichtlinie vorgelegt, die sich in vielen Punkten mit unseren Vorstellungen deckt. Der Familienbegriff muss modernisiert und erweitert werden: Auch für eingetragene homosexuelle Lebensgemeinschaften muss ein Familiennachzug möglich sein. Ebenfalls soll ein Rechtsanspruch für Verwandte in aufsteigender Linie (Eltern und Großeltern) geschaffen werden, sofern der Zusammenführende für den Unterhalt aufkommt und sie im Herkunftsland keinerlei sonstige Bindungen mehr haben. Auch für sonstige Verwandte (Onkel, Tante, Kinder über 21) sollte Familiennachzug zumindest immer dann gestattet werden, wenn eine außergewöhnliche Härte (§ 22 AuslG) vorliegt. Ein Rechtsanspruch soll auch für volljährige Kinder formuliert werden, wenn sie unverheiratet sind und auf Grund ihres Gesundheitszustands nicht selbst für den Unterhalt aufkommen können. (. . .) Asylrecht sichern - Recht statt Gnade Das deutsche Asylrecht steht für uns nicht zur Disposition. Der Schutz politisch Verfolgter muss auf einem individuellen, rechtsstaatlichen Verfahren beruhen. Dies entspricht nicht nur der Werteordnung des Grundgesetzes. Auch das Völkerrecht verlangt ein rechtsstaatliches Verfahren, zu dem auch die Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen durch eine unabhängige Instanz gehört. Da dies nach deutschem Rechtssystem die Gerichte sind, macht die derzeit thematisierte Schaffung sonstiger unabhängiger Instanzen keinen Sinn. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Asylpolitik. Oberstes Ziel muss der Schutz von Flüchtlingen, nicht der Schutz vor Flüchtlingen sein. Das Asylverfahren ist diesem Ziel entsprechend auszugestalten. Das gegenwärtige Asylsystem zielt dagegen mehr auf die "Bekämpfung des Asylmissbrauchs". Konsequenz sind erhebliche Schutzlücken für Verfolgte und ein eklatanter Vertrauensverlust in die Fähigkeit des Asylsystems, Schutzbedürftige zu erkennen und wirksam zu schützen. Eine Reform des Asylsystems muss deshalb zuallererst die Schutzlücken schließen und das verlorene Vertrauen wiederherstellen. Schutzlücken schließen Noch immer ist die Asyldebatte vom Mythos des "Asylmissbrauchs" geprägt. Verkannt wird, dass die tatsächliche Schutzquote in der Bundesrepublik erheblich höher liegt als die immer wieder zitierte Anerkennungsquote im Asylverfahren. Tatsächlich werden viele Opfer nichtstaatlicher Verfolgung geduldet, weil z. B. Flugverbindungen nicht bestehen oder keine Papiere ausgestellt werden können. Geduldet werden auch Bürgerkriegsflüchtlinge, die kein Asylverfahren durchlaufen haben, so aus Bosnien, dem Kosovo oder aus Afghanistan. Faktisch geschützt sind all jene, deren Asylanträge wegen aktueller Kriegswirren einem Entscheidungsstopp beim Bundesamt unterliegen. Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung schätzt die Schutzquote auf über 40 Prozent. Dieses Auseinanderfallen von Schutzquote und Anerkennungsquote ist Hinweis darauf, dass das Asylverfahren in bedenklichem Maße sein Ziel verfehlt, zentrales Instrument zur Feststellung von Schutzbedarf zu sein. Im Zusammenwirken von Exekutive und Rechtsprechung wurden in der Vergangenheit immer mehr Flüchtlinge aus dem rechtlichen Schutzbereich hinausdefiniert. Nichtstaatliche Verfolgung, Verfolgung im Rahmen von Bürgerkriegen, geschlechtsspezifische Verfolgung, aber auch erlittene Folter und Misshandlungen führen nicht mehr uneingeschränkt oder gar nicht mehr zur Zuerkennung des Asyl- oder Flüchtlingsstatus. Vor allem die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu nichtstaatlicher Verfolgung hat in den vergangenen Jahren Asylrecht und Abschiebungsschutz verweigert und damit völkerrechtliche Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention ignoriert. Ob die Bedrohung von Leben und Freiheit eines Flüchtlings von einem Staat ausgeht oder von nichtstaatlichen Kräften, ob eine Gefährdung für ganze Gruppen oder nur für Einzelne besteht, ändert jedoch nichts an der Schutzbedürftigkeit des einzelnen Flüchtlings. Maßstab für die Asylgewährung muss wieder allein die Frage werden, ob ein Asylsuchender tatsächlich schutzbedürftig ist. Hierzu sind gesetzliche Klarstellungen nötig. Qualität der Asylverfahren verbessern Ein zweiter Mythos der Asyldebatten ist die vermeintlich zu lange Dauer der Asylverfahren. Hier wird übersehen, dass ca. 80 Prozent der Fälle beim Bundesamt innerhalb von sechs Monaten entschieden werden. Verzögerungen und Staus entstehen vor allem bei den Verwaltungsgerichten, die mit der Überprüfung von immerhin rund 80 Prozent der Bundesamtsentscheidungen belastet sind. Anzahl und Dauer der Verfahren vor den Verwaltungsgerichten sind zu einem erheblichen Ausmaß Folgen der Schutzverweigerung im Verfahren vor dem Bundesamt. Eine weitere Ursache ist die Verweigerung von Schutz durch Entscheidungsstopps in Bürgerkriegssituationen. Hinzu kommen Klagen, die nach bereits festgestelltem Abschiebungsschutz allein der Statusverbesserung dienen. Da die Möglichkeiten für eine rechtsstaatlich vertretbare Beschleunigung der Asylverfahren weitgehend ausgereizt sind, muss es derzeit vor allem um Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität der Entscheidungen des Bundesamtes gehen. So muss sichergestellt werden, dass in den Anhörungen die Verfolgungsgeschichte durch Fragen vollständig und substanziiert dargelegt werden kann und gegenüber der Ermittlung des Fluchtweges im Vordergrund steht. Die Kontrolle der Verwaltungstätigkeit sollte sich nur im Ausnahmefall vor den Gerichten abspielen, im Regelfall innerhalb des Bundesamtes. In der Praxis des Bundesamtes sollte nicht vorrangig die Gewährung, sondern die Verweigerung von Schutz überprüft werden. So sollten z. B. nicht die Anerkennungen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG überprüft werden, sondern die Ablehnungen. Grundsatz für das gerichtliche Verfahren sollte sein, dass es das Verwaltungsverfahren überprüft, nicht ersetzt. In vielen Fällen sind die Verwaltungsgerichte mit der Wiederholung der Anhörungsverfahren befasst, weil die Qualität von Anhörung und Bescheid eine partielle Überprüfung kaum möglich macht. Deshalb sollten die Verwaltungsgerichte bei der Feststellung von Verfahrensfehlern Verfahren an das Bundesamt zurückverweisen können. Bisher wird in Fällen akuter Menschenrechtskrisen die Entscheidung über Asylanträge häufig ausgesetzt. Ein Teil dieser Entscheidungsstopps, so für Bosnien, Ruanda, Kosovo, Sierra Leone oder die Roma aus dem Kosovo, kommt einer Schutzverweigerung durch Nichtentscheidung gleich. Vor diesem Hintergrund ist die Praxis der Entscheidungsstopps grundsätzlich zu überprüfen. Zudem könnten die Belastungen der Administration durch die zügige Anerkennungen in klaren Fallkonstellationen reduziert werden. Die Möglichkeit, in offensichtlich begründeten Fällen ohne mündliche Anhörung anzuerkennen, sollte auf Entscheidungen nach §§ 51,1 und 53 AuslG ausgedehnt werden. Denkbar sind auch Gruppenanerkennungen von Flüchtlingen, bei denen eindeutig von Schutzbedürftigkeit auszugehen ist. Einheitlichen Flüchtlingsstatus schaffen Weder für die Betroffenen noch für die Öffentlichkeit ist einsichtig, warum Schutzbedürftige mit unterschiedlichem Aufenthaltsstatus und unterschiedlichen sozialen Rechten ausgestattet werden, die allein aus juristischen Abgrenzungen resultieren. Die gegenwärtige Praxis führt zu Flüchtlingen erster, zweiter und dritter Klasse mit ganz unterschiedlichen Integrationschancen und ist zudem Ursache für eine Vielzahl von Gerichtsverfahren, die allein wegen der Statusverbesserung geführt werden. Wer wegen drohender Verfolgungen und Menschenrechtsverletzungen hier Schutz erhalten hat, muss - unabhängig davon, nach welcher Rechtsvorschrift der Schutz erteilt wurde - mit dem Standard von Rechten ausgestattet werden, wie sie in der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehen sind. System organisierter Unverantwortlichkeit beenden In den vergangenen Jahren ist ein undurchsichtiges Geflecht von Zuständigkeiten für Entscheidungen über den Schutz von Einzelnen und Gruppen entstanden. Ob Bund oder Land, Exekutive, Parlament oder Gerichte - jeder kann rechtlich begründet behaupten, er sei für die Entscheidung über Schutzbegehren nicht zuständig oder könne zumindest nicht allein entscheiden. Das Bundesamt verweist auf die Gerichte, das Bundesverwaltungsgericht auf die Politik, die Bundespolitik kann nicht ohne die Länder, die Länder nicht ohne den Bund und die Zustimmung aller anderen Länder. Im Ergebnis überlässt das deutsche Asylsystem den Schutz von Flüchtlingen oft genug den fehlenden Flugverbindungen nach Kabul oder Mogadischu. Die organisierte Unverantwortlichkeit untergräbt nicht nur den Flüchtlingsschutz, sondern auch das Vertrauen in ein funktionierendes Asylsystem und damit in einen Teil des politischen Systems. Deshalb müssen klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten festgelegt werden. Diesem Ziel können folgende Maßnahmen dienen: Gerichte dürfen sich der Entscheidung über den Schutzbedarf im Einzelfall nicht durch Verweis auf die Politik entziehen. § 53, Art.6, Abs. 2 ist deshalb zu streichen. Die Bundesregierung kann eigenständig ohne Zustimmung der Länder kurzfristig Abschiebungsstopps bzw. einen temporären Status für bestimmte Gruppen erlassen. Die Länder können, ohne die Zustimmung anderer Bundesländer, vorübergehende Abschiebungsstopps für einzelne Gruppen erlassen. Will ein Land Bundeseinheitlichkeit herstellen, so ist der Weg über den Bundesrat zu beschreiten. Integration fördern - Integrationshindernisse beseitigen Einwanderungspolitik braucht Integrationspolitik. Wie schon die Anwerbepolitik der Vergangenheit konzentriert sich die aktuelle Debatte in viel zu starkem Maße auf die Frage, wer kommen soll. Ohne jedoch auch die Frage zu beantworten, wer unter welchen Bedingungen bleiben soll, kann gesellschaftliche Integration nicht gelingen. Statt sich dieser Frage zu stellen, wird Integration derzeit debattiert als Assimilation an eine - fiktive - deutsche Einheitskultur, an einen - gleichermaßen fiktiven - Einheitsdeutschen. Aber "den Deutschen", an dem sich die Integrationsleistungen von Migranten messen lassen müssten, gibt es nicht: Wir leben in einer Gesellschaft, in der eine Vielzahl von Lebensstilen und Lebensentwürfen nebeneinander existieren - und dies gilt keineswegs nur mit Blick auf ethnische Unterschiede. Integration kann und darf daher nicht Assimilierung bedeuten, sondern meint den beständigen Prozess der Verständigung über die gemeinsamen Grundlagen und Regeln des Zusammenlebens. Zentral sind dabei die Anerkennung der Werte des Grundgesetzes und Kenntnisse der deutschen Sprache. Wir müssen in einen neuen Abschnitt von Integrationspolitik eintreten, den man mit dem Motto "Eine neue Balance von Rechten und Pflichten" überschreiben könnte. Integrationspolitik muss sicherstellen, dass klaren und erfüllbaren Erwartungen klare und garantierte Ansprüche gegenüberstehen. Ziel von Integrationspolitik ist die Verbesserung der rechtlichen, institutionellen und individuellen Voraussetzungen für eine gleichberechtigte Teilhabe am ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Leben. Integrationschancen für alle Zuwanderergruppen schaffen Da wir als Industrieland in der Mitte Europas auch weiterhin Einwanderung in einem Umfang haben werden, der politische Gestaltung unabdingbar macht, ist die tradierte Orientierung von Integrationsangeboten am Aufenthaltsstatus nicht zu halten. Integrationsförderung - und hier sind alle Zuständigkeitsebenen in Bund, Ländern und Kommunen angesprochen - muss perspektivisch unterstützende Angebote für alle garantieren, die legal und mit langfristiger Aufenthaltsperspektive nach Deutschland kommen. Dies schließt nachziehende Familienangehörige genauso ein wie Flüchtlinge, die ohne eigenes Verschulden absehbar in der Bundesrepublik bleiben werden. Ungeachtet der rechtlichen Grundlage der Schutzgewährung für Asylberechtigte, GFK-Flüchtlinge und aus anderen Gründen Schutzbedürftige sollte deshalb allen, die hier Schutz erhalten haben, ein einheitlicher Anspruch auf Sozialleistungen, auf Familienzusammenführung und auf Integrationsangebote zustehen. Anknüpfungspunkt für diesen einheitlichen Flüchtlingsstatus ist die Genfer Flüchtlingskonvention. (. . .)
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