taz 16.11.2000 Palästina abhängig Schwere Unruhen am 12. Jahrestag der Proklamation des Staates Palästina. Israel droht mit Verschärfung der militärischen Maßnahmen JERUSALEM taz Bei heftigen Auseinandersetzungen am 12. Jahrestag der symbolischen Proklamation des Staates Palästina, 1988 in Algier, sind bis zum Nachmittag mindestens sechs Palästinenser getötet worden. Die Unruhen begannen, nach Kundgebungen in allen palästinensischen Städten, am Mittag vor allem im Gaza-Streifen und im Norden von Ramallah. Zahlreiche Demonstranten erlitten zum Teil schwere Verletzungen. Unterdessen kündigte Israels stellvertretender Premierminister Benjamin Ben-Eliesar an, dass Israel seine "Politik der Zurückhaltung" aufgeben werde. Nachdem am Montag vier Israelis bei Feuerüberfällen im Westjordanland getötet worden waren, hatte das Militär die palästinensischen Städte abgeriegelt. Am Mittwoch kam das israelische Kabinett zu einer Krisensitzung zusammen, um über weitere Maßnahmen zu beraten. US-Präsident Bill Clinton hatte am Vortag in einem einstündigen Telefonat Palästinenserpräsident Jassir Arafat über seine Gespräche mit Ehud Barak informiert. Arafat soll Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Verhandlungen auf der Basis der Camp-David-Vereinbarungen signalisiert haben. In einer Erklärung vom Mittwochmorgen, die ausdrücklich auch an "unbekannte Schützen" gerichtet war, forderte der Palästinenserpräsident zur Einstellung der Gewalt gegen israelische Ziele in den Autonomiegebieten auf. Marwan Barguti, der Führer der palästinensischen Tansim-Milizen, und Fatah-Führer Hussein Scheich hatten zum Auftakt des "Tags der Unabhängigkeit" erklärt, auf die Blockade palästinensischer Städte mit einem Marsch auf jüdische Siedlungen und der Sperrung von Zugangsstraßen reagieren zu wollen. Israelische Sondertruppen nahmen unterdessen bei Ramallah im Westjordanland 15 Fatah-Aktivisten fest, die für die jüngsten Attentate verantwortlich sein sollen. Die bisherige Strategie von Israels Premierminister Ehud Barak, mit "Zurückhaltung" auf gewaltsame Übergriffe zu reagieren, stößt vor allem bei den jüdischen Siedlern im Westjordanland und im Gaza-Streifen auf offenen Unmut. "Lasst die Armee ihre Arbeit tun", forderten rund 2.000 Demonstranten am Dienstagabend in Jerusalem, und: "Unsere Soldaten können den Krieg gegen die Palästinenser gewinnen." "Wenn niemand unseren Bürgern Sicherheit gibt, dann müssen wir das eben selbst in die Hände nehmen", sagte Schifra Hoffmann, Vorsitzende des "Verbandes der Terroropfer". Siedler aus Hebron erklärten in einer Mitteilung an die Presse, dass sie "der Armee bei der Absperrung der palästinensischen Städte helfen". Ein Militärsprecher dementierte auf Anfrage jede Zusammenarbeit mit den Siedlern. Gleichzeitig warnte der Meretz-Abgeordnete Mossi Ras vor "Pogromen". Es gebe unter den Siedlern einige, "die die Geduld verloren hätten". In der Nacht zum Mittwoch starb bei Ramallah ein 60-jähriger Palästinenser, nachdem er von jüdischen Siedlern mit Steinen beworfen worden war. SUSANNE KNAUL
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