Süddeutsche Zeitung, 16.11.2000 Kämpfe am Unabhängigkeitstag der Palästinenser "Selbstschutz wichtiger als Friedensverhandlungen" Israel droht mit Ende der Zurückhaltung / Arafats Befehl zur Feuerpause missachtet / Beisetzung Lea Rabins in Jerusalem / Von Thorsten Schmitz Jerusalem - Die israelische Regierung hat am Mittwoch angesichts der dramatischen Verschlechterung der Situation damit gedroht, ihre "Politik der Zurückhaltung" aufzugeben. Außenminister Schlomo Ben-Ami und Kabinettsminister Benjamin Ben-Eliezer erklärten, Israel müsse sich verteidigen. Nicht Friedensverhandlungen seien zur Zeit das zentrale Ziel, sondern der Schutz Israels. Ben-Eliezer veröffentlichte eine entsprechende Stellungnahme vor einer Krisensitzung des Sicherheitskabinetts, zwölf Jahre nach der symbolischen Erklärung der Unabhängigkeit Palästinas durch Jassir Arafat in Algier 1988. Arafat verzichtete auf die ursprünglich für den 15. November geplante einseitige Ausrufung eines palästinensischen Staates. Die Aufforderung Arafats an die Palästinenser, nicht auf israelische Soldaten zu schießen, wurde nicht befolgt. Palästinensische Flüchtlinge im Westjordanland, Gaza, Jordanien, Libanon und Syrien erinnerten mit Demonstrationen an die symbolische Staatsausrufung und forderten die "Auslöschung" Israels. Kurz nach Ben-Eliezers Ankündigung nahm Israel im Westjordanland 15 Mitglieder der Fatah-Organisation von Arafat fest. Sie sollen nach offiziellen Angaben an Überfällen auf Israelis beteiligt gewesen sein. Nach Angaben von Fatah-Führer Marwan Barghuti sind die 15 Mitglieder in der Nähe des Ortes festgenommen worden, wo militante Palästinenser am Montag drei Israelis getötet hatten. Wie bereits in der Nacht zuvor kam es auch am Mittwoch im Anschluss an Beerdigungen und Demonstrationen aus Anlass des Unabhängigkeitstages zu gewalttätigen Zusammenstößen im Westjordanland und im Gazastreifen. In den Städten Hebron, Tulkarem und Ramallah lieferten sich palästinensische Extremisten stundenlang heftige Gefechte mit israelischen Soldaten. Nach palästinensischen Angaben wurden im Westjordanland und im Gazastreifen sieben Palästinenser durch Kugeln israelischer Soldaten getötet und über 50 Palästinenser verletzt. In der Nacht zum Mittwoch hatten jüdische Siedler einen 60-jährigen Palästinenser mit Steinen beworfen und ihn dabei tödlich verletzt. Palästinenser setzten mit einem Molotowcocktail einen israelischen Tanklastwagen nahe Bethlehem in Brand. Der Fahrer konnte sich in letzter Minute retten. US-Präsident Bill Clinton hatte Palästinenserpräsident Arafat in einem 50-minütigen Telefongespräch gebeten, die Gewalt in den Palästinensergebieten zu stoppen. Am Rande des Asien-Pazifik-Gipfels in Brunei äußerte sich Clinton deprimiert über die Situation. Er bedauere "zutiefst", dass es ihm während seiner Amtszeit als Präsident der USA nicht gelungen sei, Frieden im Nahen Osten zu schaffen. "Ich wollte mit ganzem Herzen helfen, die in Oslo getroffenen Vereinbarungen umzusetzen." Clinton sagte, dass nur ein sofortiger Stopp der Gewalt eine Wiederaufnahme der Friedensgespräche herbeiführen könnte. Lea Rabin wurde am Mittwoch auf dem Herzl-Friedhof in Jerusalem bestattet. Politiker aus aller Welt waren zu ihrer Beerdigung angereist. Die Frau des vor fünf Jahren ermordeten Premierministers Jitzchak Rabin, war am Sonntag an einem Krebsleiden gestorben. Zu der Beerdigung erschienen auch der deutsche Bundespräsident Johannes Rau, Russlands Außenminister Igor Iwanow sowie die neue New Yorker Senatorin und Ehefrau des US-Präsidenten Hillary Clinton. Israels Premier Ehud Barak würdigte Lea Rabin als "unermüdliche Kämpferin" für den Frieden. Israel werde diesen verwirklichen, auch wenn "der Weg dorthin beschwerlich ist".
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