Berliner Zeitung 14. 11.2000 DER FLÜCHTLING UND SEINE RICHTERIN Der Bosnier Hasan Mehmedovic ist traumatisiert - trotzdem beschloss das Gericht die Abschiebung Mechthild Henneke. Der bosnische Flüchtling aus Srebrenica kennt nicht die Verwaltungsgerichtsordnung. Die Richterin Frömming kennt nicht das Gefangenenlager Potocari in Srebrenica. So viel ist sicher. Und, dass die Richterin über das Bleiberecht des Flüchtlings entscheiden musste. Der 38-jährige Hasan Mehmedovic musste ihr Fakten liefern für ihren Beschluss. Psychologische Atteste über seine Traumatisierung. Die Richterin fand Widersprüche in Details. Sie zweifelte nicht an der Traumatisierung, aber die Widersprüche konnte sie nicht akzeptieren. Sie entschied auf Abschiebung. "Die Welt eines Flüchtlings und die eines Richters passen nicht zusammen", sagt Elisabeth Reese, Juristin in der Asylberatung der Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg. Der Flüchtling könne nicht in einer Art und Weise über seine Erlebnisse sprechen, die in das formalistische Schema von Gesetzestexten passen. Wer das könne, sei vermutlich nicht traumatisiert. "Mein Leben ist zu Ende", sagt der Mann Mehmedovic ist nicht in der Lage, über das zu reden, was er im Krieg sah. Er spricht allgemein fast gar nicht mehr. Er sagt über sich: "Mein Leben ist zu Ende." Zwei Jahre lang lebte er in der Uno-Schutzzone Srebrenica. Im Juli 1995 eroberten die Serben die Enklave. Mehmedovic wurde gefangen genommen und in das Lager Potocari gebracht. Er wurde gefoltert. Einen Monat später entkam er und versteckte sich zwei Monate lang in den Wäldern. Im Februar 1996 kam er nach Berlin. Das sind die Fakten des Falls, über den Frau Frömming zu entscheiden hatte. Die Richterin sagt, sie wolle nicht über ihr Urteil sprechen. Weil Mehmedovic dagegen klagen könnte. Ihren Vornamen will sie auch nicht sagen. Das sei ihr zu persönlich. Sie habe als Richterin entschieden und sie habe getan, was sie konnte. Sie hat Gesetzestexte nachgeschlagen und die Atteste gelesen. Sie hat bei Psychologen und anderen Menschen, die Mehmedovic kennen, nachgefragt. Die Begründung zu ihrem Beschluss ist neun lang. Frau Frömming hat sie unterzeichnet, als Mehmedovic schon in Haft saß. "Das ist ein Skandal", sagt Elisabeth Reese. Offenbar nehme die Polizei die Flüchtlinge fest und zwinge die Richter dann, den Beschluss zu schreiben. Das ist nur eine Vermutung, doch ist der Beschluss tatsächlich an dem Tag datiert, an dem die Polizei frühmorgens die Familie abholte und in Abschiebehaft brachte. Welches sind die Details, die zur negativen Entscheidung über Mehmedovics Aufenthalt in Deutschland führten? Es ist die Zahl seiner Brüder, die in den Attesten unterschiedlich genannt wird. Und es ist die Angabe darüber, wie er das Konzentrationslager verließ. Einmal heißt es, er sei geflohen, einmal, dass er entlassen worden sei. Die Atteste stammen von verschiedenen Psychologen. Alle halten ihn für schwer traumatisiert. "Traumapatienten verändern nicht selten die Schilderung ihrer Erlebnisse", sagt die Psychiaterin Ute Albrecht, in deren Praxis Mehmedovic behandelt wurde. Das habe nichts mit Lügen zu tun, sondern damit, dass das Gedächtnis häufig nicht präzise funktioniere. Bei vielen Patienten verschwimmen die Ereignisse in der Erinnerung. Manchmal machen auch Übersetzer Fehler. Ute Albrecht erzählt, wie schwierig es ist, ein Gutachten zu schreiben, das zur Entscheidungsgrundlage für Richter wird. Traumapatienten liefern keine Polizeiprotokolle. Vieles bleibt im Dunkeln, denn der Charakter des Traumas ist, das Schlimmste in sich zu verschließen, weil die Erinnerung schmerzt. Manche öffnen sich erst nach Jahren, lange nach Ablauf der Frist für die Aufenthaltsverlängerung. Richterin Frömming schreibt in ihrem Beschluss, dass die Beweiskraft der Atteste durch die Widersprüche so stark erschüttert werde, dass sie nicht mehr geeignet seien, eine Kriegstraumatisierung besonders schweren Ausmaßes zu belegen. Diese Logik kann Herr Mehmedovic nicht nachvollziehen. Er sei krank, sagt er. Was der Verbleib seiner Brüder mit seiner Traumatisierung zu tun hat, versteht er nicht. Die Richterin führt noch ein weiteres Argument an, wieso der Mann nicht schwer traumatisiert sein kann. "Sollte er", so schreibt sie, "trotz der langen und regelmäßigen Teilnahme an den Sitzungen keine Besserung verspüren, so ist dem Antragsteller durchaus der Vorwurf zu machen, dass er sich nicht um eine psychotherapeutische Einzelbehandlung, deren Kosten bei entsprechender Indikation auch von den Sozialämtern übernommen werden, bemüht hat." Das klingt logisch, doch die Wirklichkeit ist offenbar anders. "Einzeltherapien sind bei der derzeitigen finanziellen Lage undenkbar", sagt die Psychiaterin Albrecht. Die Sozialämter übernähmen nicht die Kosten von Langzeittherapien bei Personen, die nur sechs Monate Aufenthalt in Deutschland haben. Eine kostenlose Therapie aber biete kein Psychologe an. Die Richterin hat von Herrn Mehmedovic erwartet, dass er sich gegen diese Widerstände auflehnt. Dass er für eine Behandlung kämpft, sich durchsetzt. Obwohl in den Attesten steht, dass er apathisch ist und stark depressiv. Wer ihn trifft, spürt schnell die unsichtbare Wand, die sich zwischen ihm und der Außenwelt befindet. Nicht einmal seine Frau kommt an ihn heran. Richterin Frömming hat den Mann nie getroffen. Sie unterschrieb den Abschiebungsbeschluss auf Grund der Aktenlage. Hasan Mehmedovic ist zusammengebrochen, als die Polizei ihn um 7.30 Uhr in die Gefangenensammelstelle am Tempelhofer Damm brachte. Die Uniformen, die Zelle, die Erinnerungen. Die Polizei brachte ihn zu einem Arzt. Der entschied: Dieser Mann darf nicht über Nacht im Gefängnis bleiben. Mehmedovic kam frei, sollte sich am nächsten Tag wieder melden, um sich abschieben zu lassen. Seine Familie blieb bis zum nächsten Morgen in Haft. Die Anwältin Ellen Apitz holte sie raus. Seitdem lebt Mehmedovic im Untergrund. Die Familie wartet auf einen neuen richterlichen Beschluss.
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