Berliner Morgenpost, 16.11.2000 PDS will nicht mehr jeden einwandern lassen Petra Pau stößt innerparteiliche Debatte an Von Frank Käßner Berlin - Nach der parteiinternen Debatte über den Nationenbegriff packt die PDS-Führung ein weiteres heißes Eisen an. Bis Januar soll ein Eckpunktepapier vorgelegt werden, in dem die Positionen der Linkssozialisten zur Einwanderungspolitik festgeschrieben werden. Damit bahnt sich neuer Streit an. Mit ihrer Ankündigung hat die Berliner Landesvorsitzende Petra Pau, gleichzeitig stellvertretende Vorsitzende von Partei und PDS-Bundestagsfraktion, vor allem die eigenen Genossinnen und Genossen überrascht. Denn im gültigen Parteiprogramm werden für alle «die hier leben und arbeiten wollen, gleiche materielle und soziale Bedingungen» gefordert. Das Aufenthaltsrecht für alle Zuwanderer war ein programmatisches Zugeständnis an die West-Linken. Als Botschaft an die mehrheitlich orthodoxe Basis im Osten hat es dagegen nie getaugt. In einem sechs Punkte umfassenden Thesenpapier, dessen Federführung Pau hat, heißt es, grundsätzlich solle nicht mehr einwandern dürfen, wer wolle, sondern «wer dafür Rechtsansprüche geltend machen kann». Man gehe in die Offensive, damit das Asylrecht unangetastet bleibe, sagte die Verfasserin gestern der Berliner Morgenpost. Akzeptable Gründe für Einwanderung sind für Petra Pau unter anderem der Nachzug von Familien, eine Arbeitsaufnahme, eine auf sechs Monate begrenzte Beschäftigungssuche, Unternehmensgründungen sowie Ausbildung und Studium. Mit Abschiebung müsse rechnen, wer innerhalb eines halben Jahres keine Beschäftigung findet oder unter Missachtung der Sozialversicherungspflicht ortsübliche Löhne unterläuft. In der PDS-Zentrale heißt es, Paus Thesen seien bei der Vorstandsklausur am vergangenen Wochenende in Thüringen besprochen und gut geheißen worden. Außergewöhnlich sachlich gar soll die Diskussion in der Bundestagsfraktion verlaufen sein. Überrascht zeigte man sich gestern jedoch in den Landesverbänden. Er kenne ein solches Papier nicht, sagte der stellvertretende PDS-Fraktionschef im Landtag von Sachsen-Anhalt, Matthias Gärtner. Auch der sächsische PDS-Chef Peter Porsch, wie Pau Vize-Parteivorsitzender, lehnte die Berliner Thesen ab. Getrieben wird die ehrgeizige Spitzenpolitikerin, Mitglied im Bundestags-Innenausschuss, von der Erkenntnis, dass ihre Partei bei der gegenwärtigen Einwanderungsdiskussion keinen klar formulierten Standpunkt hat. Pau: «Vor Jahren noch hätte niemanden unsere Meinung interessiert.» Das sei nun anders. «Wer gegen Quoten ist, muss andere Lösungen vorschlagen», ist die Berlinerin überzeugt.
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