junge Welt, 18.11.2000 Panzerschlacht in Brüssel Europäische Union will eigene Streitmacht auf den Weg bringen. jW-Bericht Javier Solana schwärmt. Der Aufbau der gemeinsamen Streitmacht der Europäischen Union komme »mit Lichtgeschwindigkeit voran«, erklärte der EU-Repräsentant für Außenpolitik und frühere NATO-Generalsekretär am Freitag. Den Anlaß für die Lobeshymne auf das Militärprojekt Europa gibt es allerdings erst am Montag. Dann sollen die Außen- und Verteidigungsminister der EU in Brüssel auf der »Streitkräfte-Beitragskonferenz« festlegen, was jedes Land zu der geplanten Eingreiftruppe beisteuern wird. Bis 2003 will die EU in der Lage sein, binnen 60 Tagen rund 60 000 Mann für einen Einsatz mobilisieren zu können. Mit der bisherigen Westeuropäischen Union, dem faktisch nur auf dem Papier xistierenden »Verteidigungsbündnis« der Gemeinschaft, waren solche Ambitionen nicht zu verwirklichen. Die endgültige Überführung der WEU in die Europäische Union hatten die Ressortchefs für Äußeres und Verteidigung am Montag beschlossen. Nun soll der wirtschaftliche Riese Westeuropa auch zur militärischen Macht werden. Nicht ohne Grund erklärte auch EU- Kommissions-Präsident Romano Prodi am Freitag auf dem Europäischen Bankenkongreß in Frankfurt am Main, Europa habe das Zeug zu einer Supermacht und einem weltweiten Akteur. Allerdings stoßen die Brüsseler Planungen zur Bereitstellung von Soldaten und Technik in den EU-Mitgliedsstaaten nicht auf ungeteilte Zustimmung. Die Angebote der Länder, so fürchten Experten, werden keinesfalls die Anforderungen erfüllen, die EU-Militärs in einem rund 50seitigen Papier für verschiedene Szenarien erarbeitet haben. Dabei reichen die Interventionsformen von Kampfeinsätzen bis zu Missionen in einem Land, wo Friedenstruppen einen offenen Konflikt verhindern sollen. Allein 18 000 Mann soll die Bundesrepublik für die Eingreiftruppe bereitstellen, darunter neben Heeres- und Marinesoldaten auch Sanitäter. Zudem sollen der EU- Armee im Krisenfall 18 Schiffe, knapp hundert Flugzeuge sowie acht Flugabwehrbatterien zur Verfügung stehen. Deutschland muß bei Bedarf auch zwei Feldhospitäler stellen. Die Beteiligung der einzelnen EU-Staaten soll im Krisenfall entsprechend der Art des Einsatzes flexibel zusammengesetzt werden können. EU-weit wird der notwendige Pool auf gut 80 000 Mann, 350 Kampfflugzeuge und 80 Schiffe geschätzt. Tatsächlich aber müssen sich, um durch Auswechselungen den Einsatz wie gefordert ein Jahr durchhalten zu können, rund 240 000 Soldaten in den europäischen Armeen bereithalten. Daß die EU-Oberen indes sehr selektiv auswählen, wo und in welcher Art Konflikten sie intervenieren, ist bereits jetzt klar. Schon im Vorfeld der Brüsseler Tagung fiel permanent das Wort Kosovo. Bekanntlich legt die EU, wie auch die NATO, nach ihren eigenen Kriterien fest, welche Seite in einem Konflikt unterstützenswert ist. Dazu paßt, daß die Außenminister in Brüssel neben dem Streitkräftebeitrag den Balkan-Gipfel in Zagreb vorbereiten wollen. Die Gemeinschaft bastelt bereits an einer Erweiterung der EU bis auf den Balkan. Mazedonien soll als erstes Land der Region am Montag per Assoziierungsabkommen an die Union gebunden werden, und auch Kroatien wird ein solcher Vertrag in Aussicht gestellt. Bereits auf dem Gipfel in Zagreb am Freitag kommender Woche soll den Ländern der Region dann feierlich erklärt werden, daß sie »potentielle Beitrittskandidaten« seien. |