Süddeutsche Zeitung, 18.11.2000 Sauerstoff Israel Hafida Zeben liegt mit einem Schädelbasisbruch im Krankenhaus von Nablus. Die 75-jährige Palästinenserin hatte Oliven auf den Feldern vor der Autonomiestadt im Westjordanland gepflückt, als jüdische Siedler aus dem nahe gelegenen Dorf Jitzar sie nach einem Wortgefecht mit Steinen bewarfen. "Nachbarn? Wie soll ich mit Menschen Tür an Tür leben, die mir Steine an den Kopf werfen?" Auch in Israel schwindet der Glaube an Koexistenz. Die Jurastudentin und Friedensaktivistin Tali Ben-Zvi aus Jerusalem etwa war bis vor kurzem noch "optimistisch, was die gemeinsame Zukunft betraf". Jetzt schüttelt sie kategorisch den Kopf, während das Radio im Café von Schusswechseln zwischen dem Jerusalemer Vorort Gilo und dem palästinensischen Dorf Beit Dschallah berichtet. "Israel muss sich von den Palästinensern trennen. Die Alternative zum Friedensprozess, die auch Regierungschef Ehud Barak vorschwebt, lautet: Separation von den Palästinensern, Abnabelung der palästinensischen Wirtschaft vom israelischen Sauerstoff. Barak statuiert gerade ein Exempel: Mehrere Millionen Dollar an Steuerrückerstattung enthält er der palästinensischen Autonomiebehörde vor. Und er hat eine Kommission einberufen, die die Möglichkeiten einer einseitigen Trennung prüft, falls Palästinenserpräsident Jassir Arafat einseitig einen Staat ausrufen sollte. Hauptproblem für Israel sind dabei die 145 jüdischen Siedlungen im Westjordanland und im Gazastreifen, die seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 entstanden sind. Verbunden sind diese Siedlungen durch Straßen, die nur von Israelis benutzt werden dürfen und die das Westjordanland wie Spaghetti durchziehen. Der Trennungsplan sieht vor, die Siedlungen in größeren Blöcken zusammenzufassen und sie durch Mauern und Stacheldrähte vor den Palästinensern zu schützen - es wären Mini-Berlins mit Transit-Routen durch ein feindlich gesonnenes Palästina. Die Abnabelung im wirtschaftlichen Sektor wäre für die Palästinenser ein Albtraum. Palästinenser nutzen israelischen Strom und israelische Handys, und bis zu 120 000 Palästinenser arbeiten in Israel. Sie verdienen dort als Bauarbeiter und Gärtner ein kleines Vermögen von 40 Dollar am Tag - im Gazastreifen beträgt der Durchschnittsverdienst nur höchstens 2,50 Dollar täglich. Seit Israel aus Furcht vor Anschlägen keine Palästinenser mehr zum Arbeiten hineinlässt und auch den wenigen palästinensischen Unternehmen die Produktionswaren fehlen, belaufen sich die Ausfälle nach Angaben des palästinensischen Handelszentrums auf 400 Millionen Dollar. Israel kann ganz gut auf Krankenhauskittel und Süßkartoffeln aus dem Gazastreifen verzichten. Auch auf palästinensische Arbeiter: In den vergangenen Jahren hat Israel vermehrt um Gastarbeiter aus den Philippinen, Vietnam und Thailand geworben - die machen jetzt die Arbeit in Israel, ohne dass die Arbeitgeber fürchten müssen, dass sie wegen der Abriegelungen nicht kommen können. Die Separation wäre für palästinensische Prestigeobjekte wie das fast fertig gestellte Einkaufszentrum in Ramallah, das Casino von Jericho oder das 60-Millionen-Dollar-Hotel "Intercontinental" in Bethlehem das Aus - sie waren unter der Voraussetzung konzipiert worden, dass der Zugang zu ihnen ungehindert ist. Eine Separation wäre der Tod der palästinensischen Wirtschaft: 94 Prozent aller palästinensischen Exporte gehen nach Israel, 84 Prozent aller Importe kommen aus Israel. Israels Exporte in die Palästinensergebiete belaufen sich auf gerade zwei Prozent. Thorsten Schmitz |