Frankfurter Rundschau, 18.11.2000 Kein Entrinnen aus dem Trauma Innenminister müssen entscheiden, ob kranke Bosnien-Flüchtlinge bleiben dürfen Von Ursula Rüssmann (Frankfurt a. M.) Vor dem Treffen der Innenministerkonferenz (IMK) kommenden Donnerstag und Freitag wächst die Hoffnung, dass traumatisierte Bosnienflüchtlinge künftig ein längerfristiges Aufenthaltsrecht erhalten. Noch aber kann alles kippen: Vor allem Bayern sperrt sich gegen eine großzügigere, bundeseinheitliche Schutzregelung. Wie katastrophal sich die derzeitigen Abschiebedrohungen auf die betroffenen Flüchtlinge auswirken, zeigen zwei Fälle aus Hessen. Muhamed H. findet keine Ruhe mehr, seit er 1992 sechs Monate in bosnisch-serbischen Internierungslagern saß. Seit er dort geschlagen und getreten wurde, hilflos zusehen musste, wie sein jüngerer Bruder gequält wurde, seit man ihm wieder und wieder vorlog, man habe Frau und Kinder umgebracht, kommen die Schergen fast täglich wieder. Nachts im Traum misshandeln sie ihn, und auch tagsüber hat er oft das Gefühl, dass sie plötzlich vor ihm stehen. Wenn er im Fernsehen oder sonstwo Männer mit Waffen oder Uniform sieht, befallen ihn Herzrasen, Schweißausbrüche und Panikzustände. Die Symptome hätten sich seit zwei Jahren deutlich verschärft, seit Muhamed H. und seiner Familie die Abschiebung droht, berichtet seine Psychiaterin von der Uni-Klinik Gießen. Sie hat eine "schwere posttraumatische Belastungsstörung" ausgemacht und warnt vor akuter Selbstmordgefahr bei Abschiebung. Denn ihr Patient sei "schwer depressiv und voller Angst". Wiederholt muss er stationär psychiatrisch behandelt werden. Inzwischen leidet der 48-jährige Moslem auch an Darmkrebs mit Lebermetastasen und hat einen künstlichen Darmausgang. Die Nachsorge sei in Bosnien nicht gewährleistet, warnt die Uni-Klinik. Doch für hessische Verhältnisse ist Muhamed H. nicht krank genug, um bleiben zu können. Die Gießener Ausländerbehörde will den Mann abschieben, sobald das Verwaltungsgericht grünes Licht gibt. Das "kollektive Erleiden der Lagerhaft" reiche für die Diagnose einer Schwertraumatisierung nicht aus, so das Amt. Auch habe H. seine Probleme "erstmals im Zusammenhang mit der bevorstehenden Ausreisepflicht kundgetan". Die Behörde kann sich auf einen hessischen Erlass vom Januar berufen, der der Verdachtslogik folgt: Menschen, die sich erst spät als traumakrank zu erkennen geben, tun das wahrscheinlich nur, um bleiben zu dürfen. Der Verdacht trifft auch Meliha J. aus Hanau. Seit 1992 wurden die Moslemin und ihr Mann in ihrer Heimatstadt Banja Luka von bosnisch-serbischen Milizen belagert, überfallen, verprügelt und schließlich aus ihrem Haus vertrieben. Bis sie 1994 mit ihrem Mann fliehen konnte, musste sie sich über Monate verstecken. Die ständige Angst von damals wirkt nach: Psychotherapeuten bescheinigten ihr wiederholt "chronische Depressivität" und "Verzweifelung", bei einer Rückführung nach Bosnien drohe Selbstmord. Meliha J. brauche "angesichts der eingetretenen Persönlichkeitsveränderung" noch mindestens eineinhalb Jahre therapeutische Behandlung in Deutschland. Trotzdem soll die Bosnierin und ihr Mann zurück, haben Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht entschieden. Nur wegen einer Knieoperation wird sie noch bis etwa Januar geduldet. Dass sie sich erst 1999 in Therapie begab, als die Ausreisefrist ablief, droht ihr zum Verhängnis zu werden. "Die Vorschriften sind so", sagt Hanaus Pressesprecher Hans-Peter Stadler. Doch die Vorschriften ignorieren, was bei Psychologen und Flüchtlingsberatern längst unstrittig ist: dass schwere Traumata oft lange verdrängt werden und massiv wieder aufbrechen, wenn die Rückkehr an den Ort der Verfolgung droht. Pro-Asyl-Vertreter Torsten Jäger: "Viele Flüchtlinge haben sich jahrelang Schmerz- und Schlaftabletten verschreiben lassen. Zur Therapie sind sie erst gegangen, als es gar nicht mehr ging." Auch wenn die IMK also den Weg für längerfristige Aufenthaltsbefugnisse öffnet: Entscheidend ist für die Bundesausländerbeauftragte Marieluise Beck, dass ein früher Therapiebeginn nicht zur Bedingung gemacht wird. In anderen Staaten leben Bosnienflüchtlinge längst in Sicherheit. Die USA haben mehr als 140 000 ein Bleiberecht gegeben, Österreich 66 000 und Schweden 53 000. NRW-SPD rügt Abschiebungen vs DÜSSELDORF. In der nordrhein-westfälischen SPD wächst der Unmut über die derzeitige Abschiebepraxis im Lande. In einer Fraktionssitzung äußerten zahlreiche Landtagsabgeordnete im Beisein von Innenminister Fritz Behrens (SPD) ihr Unverständnis über "Unstimmigkeiten" zwischen der gleichzeitigen Anwerbung von ausländischen Arbeitnehmern und der Abschiebung von arbeitenden Bürgerkriegsflüchtlingen gegen den Willen ihrer meist deutschen Arbeitgeber. Nach den Worten des SPD-Fraktionsvorsitzenden Edgar Moron ist dieses gleichzeitige Abschieben und Anwerben "niemandem mehr zu vermitteln". Anlass für die Diskussion in der SPD-Mehrheitsfraktion war ein Erlass des Innenministers, der die Duldung von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Kosovo mit einem festen Arbeitsverhältnis bis zum 31. Juli 2001 verlängerte. Danach müssen sie das Land verlassen oder werden abgeschoben. Die Fraktion regte an, während eines zunächst nicht befristeten "Moratoriums" die Abschiebungen auszusetzen. |