junge Welt,18.11.2000 Interview Warum gehen die Flüchtlinge in Wolfsburg auf die Straße? jW sprach mit Alexander Wolf, Mitglied der Antifaschistischen Aktion Wolfsburg F: Flüchtlingsinitiativen und antifaschistische Gruppen rufen für den heutigen Samstag in Wolfsburg zu einer Demonstration auf. Warum? Der Anlaß für diese Aktion ist ein faschistischer Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim Wolfsburg- Fallersleben. In der Nacht vom 24. zum 25. Oktober wurde in unmittelbarer Nähe des Heims ein Müllhaufen angezündet. Vier Neonazis aus der Region wurden mittlerweile im Zusammenhang mit dem Anschlag festgenommen. Sie haben Aussagen gemacht und sich gegenseitig belastet. Der Anschlag hätte schlimme Folgen für die Heimbewohner haben können. Weil Gasleitungen an den Außenmauern des Gebäudes entlanglaufen, bestand große Gefahr, daß das Gebäude explodiert. Zum Glück gab es keine Verletzten und es blieb beim Sachschaden. Eine Nachbarin hatte das Feuer entdeckt und sofort Polizei und Feuerwehr benachrichtigt. Allerdings wollte sie auf keinen Fall namentlich in der Öffentlichkeit erwähnt werden. Sie befürchtet, selbst ins Visier der Nazis zu geraten. Das sagt viel über das Klima in Wolfsburg aus. F: Wie verankert sind die Neonazis in der ehemaligen nazistischen Musterstadt Wolfsburg? Die CDU hat in Wolfsburg eine besonders rechtskonservative Ausprägung. Das liegt an der starken Präsenz verschiedener Vertriebenenverbände in der Stadt. Dort arbeiten Nazis und Konservative gut zusammen. So ist ein bekanntes Wolfsburger NPD-Mitglied gleichzeitig hoher örtlicher Funktionär im Bund der Vertriebenen. In der Vergangenheit haben CDU-Mitglieder immer wieder durch rechte Parolen von sich reden gemacht. F: Wer hat die Demonstration organisiert? In dem angegriffenen Heim leben mehr als 200 Flüchtlinge aus verschiedenen Kontinenten. Sie waren es in erster Linie, die nach dem Anschlag aktiv wurden. Sie haben Angst um ihr Leben. Schließlich gab es auch in der Vergangenheit schon mehrmals Angriffe von Nazis auf das Heim. Es liegt in einem Industriegebiet völlig außerhalb der Stadt. Es gibt dort keinerlei Sicherheitsmaßnahmen. Nach dem letzten Anschlag haben die Flüchtlinge auf einer Vollversammlung die Auflösung des Heimes und ihre Unterbringung in Wohnungen gefordert. Das wäre auch problemlos möglich, weil in Wolfsburg viele Wohnungen leer stehen. Doch die aus SPD und Bündnisgrünen zusammengesetzte Stadtregierung, die nach dem Anschlag sehr betroffen reagiert hat, lehnte sämtliche Forderungen der Flüchtlinge ab. F: Zu den Forderungen der Flüchtlinge gehören auch eine stärkere Polizeipräsenz und der Bau eines Zauns um das Gebäude. Wird damit nicht die Ghettoisierung von Flüchtlingen verstärkt? Es ist Ausdruck der verzweifelten Situation der Flüchtlinge, daß sie mit solchen realpolitischen Forderungen Gehör bei den Behörden zu finden hoffen. Doch selbst die werden im Wolfsburger Rathaus ignoriert. F: Beteiligen sich auch deutsche Linke an der Demovorbereitung? Die »AG für Internationale Solidarität Wolfsburg« und die »Antifaschistische Aktion Wolfsburg« werden sich hinter dem Flüchtlingsblock mit eigenen Inhalten an der Demonstration beteiligen. Unser Motto lautet: »Kampf dem Naziterror und dem staatlichen Rassismus«. Es ist uns sehr wichtig, beide Aspekte zur Sprache zu bringen. Interview: Peter Nowak * Demonstration, Sonnabend, 18. November, 12 Uhr vom Bahnhof durch die Wolfsburger Innenstadt |