Die Welt, 20.11.2000 Ankara will EU-Auflagen nicht ohne Widerspruch akzeptieren Vor allem Zypern- und Kurdenfrage umstritten Von Evangelos Antonaros Athen/Ankara - Ein Gerangel, das seit Jahren andauert und beim EU-Gipfel vor einem knappen Jahr in Helsinki einen dramatischen Höhepunkt erreicht hatte, geht weiter: Die Türkei, Kandidatenland ohne festes Datum für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, fühlt sich von Europa schlecht behandelt und benachteiligt und droht mit einer nicht näher definierten "Revision" ihrer Beziehungen zur Union. Regierungschef Bülent Ecevit hat im Laufe der letzten Tage sehr oft den Zeigefinger in Richtung Brüssel erhoben. Nach außen hin empört sich Ankara vor allem darüber, dass in einem von der EU-Kommission vorbereiteten Dokument zu den Verpflichtungen der Türkei gegenüber Europa auch Fortschritte in der Zypern-Frage zur Vorbedingung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gemacht werden. "So etwas haben wir nie akzeptiert und werden auch nie akzeptieren", sagte Ecevit unter Berufung auf die "Empfindlichkeiten unserer Regierung und unserer Öffentlichkeit". Ecevit sprach an die Adresse Westeuropas und hatte doch die eigenen Koalitionspartner im Blickfeld: Der bisher eher zurückhaltende rechtsnationalistische Vizepremier Devlet Bahceli hat sich mit Entschiedenheit gegen die Einführung der kurdischen Sprache und der Zulassung von kurdischen Rundfunk- und Fernsehprogrammen ausgesprochen, wie sie von der EU verlangt werden. Dadurch hat er sich auf Konfrontationskurs mit Ecevit begeben, der, wenn auch mit manchen Vorbehalten, die Erfüllung dieser in Ankara sehr umstrittenen EU-Kriterien befürwortet. Vermutlich um die Kontroverse zu entschärfen, hat der erfahrene Taktiker Ecevit die Zypern-Problematik in den Vordergrund seiner EU-kritischen Argumentation rücken lassen. In einem Gespräch mit allen akkreditierten EU-Botschaftern in Ankara forderte der türkische Außenamtsstaatsekretär Lologlu am Wochenende eine "ersatzlose Streichung dieser unannehmbaren Passagen" beim Ministertreffen am heutigen Montag. Von der Überreaktion der Regierung angestachelt, machen sich in der Türkei Wut, Entrüstung, Verbitterung und Frust breit: "Wollen sie uns überhaupt nicht haben und suchen sie etwa nach Ausreden, um uns vor die Tür zu setzen?" fragte die englischsprachige "Turkish Daily News". Unter westlichen Diplomaten in Ankara herrscht Verwirrung über die Hintergründe der überzogenen Reaktion der türkischen Staatsführung. Möglich ist, dass durch diesen vehementen taktischen Schachzug aus türkischer Sicht ein kleiner Teilerfolg angestrebt wird, der Ecevit die Möglichkeit gäbe, mit der EU im Gespräch zu bleiben. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass Scharfmacher, wahrscheinlich auch Militärkreise, diese Gangart mitprägen.
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