taz, 21.11.2000

Die CSU jagt ein Phantom

Für den Großteil der Flüchtlinge gilt mit der Genfer Flüchtlingskonvention in Deutschland dasselbe Recht wie in allen anderen Staaten Europas auch

von CHRISTIAN RATH

Die aktuelle Debatte um das Asylrecht ist einfach grotesk. Soweit das Grundrecht auf Asyl bereits 1993 abgeschafft wurde, kann es nicht noch einmal beseitigt werden. Und soweit die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) Schutz gibt, kann sich Deutschland dem nicht einfach entziehen. Es scheint der CSU bei ihrer Forderung nach Abschaffung des Grundrechts vor allem um billige Symbolik zu gehen.

"Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Mit diesem einfachen Satz zog Deutschland die Konsequenzen aus dem Schicksal von 800.000 Deutschen, die während des Faschismus das Land verließen und im Ausland allzuoft nicht willkommen waren. Seither wird das Asylverfahren in Deutschland kontinuierlich verschärft, zuerst nur auf gesetzlicher Ebene, ab 1993 direkt im Grundgesetz. Vor allem die CDU/CSU nutzte damals den starken Anstieg der Asylbewerberzahlen zur skrupellosen Stimmungsmache. Entgegen den Unions-Behauptungen kamen die meisten Flüchtlinge aber durchaus aus Krisengebieten: aus dem bürgerkriegsgeschüttelten Jugoslawien, aus Rumänien und dem kurdischen Teil der Türk ei. Doch die SPD hatte nicht mehr die moralische Kraft, der Kampagne weiter zu widerstehen, und willigte schließlich in den so genannten Asylkompromiss ein.

Danach ist das Grundrecht auf Asyl zwar weiterhin im Grundgesetz enthalten, aber kaum noch jemand kann es wahrnehmen. So kann sich auf das Grundrecht nicht mehr berufen, wer aus einen Staat kommt, den das Gesetz als "sicheren Herkunftsstaat" definiert hat. Das Gleiche gilt für Menschen, die über einen "sicheren Drittstaat" eingereist sind. Der grundgesetzliche Asylanspruch verblieb also nur noch für Menschen, die direkt mit dem Flugzeug aus dem Verfolgerstaat einreisten. Und auch hier sorgte das so genannte Flughafenverfahren mit seinen knappen Rechtsmittelfristen und der kasernierten Unterbringung im Transitbereich für massive Verschlechterungen.

Inzwischen ist die Zahl der Asylbewerber stark gesunken. Von rund 500.000 im Jahr 1993 auf etwa 100.000 im Vorjahr. Diese bekommen aber nach wie vor ein Asylverfahren in Deutschland, weil Deutschland die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet hat und deshalb verpflichtet ist, politisch Verfolgte nicht in den Verfolgerstaat oder andere unsichere Staaten abzuschieben. Möglich wäre zwar die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat, doch muss dieser auch zur Aufnahme bereit sein. Dies ist die Chance der Flüchtlinge. Können sie illegal nach Deutschland einreisen und anschließend den Reiseweg verschleiern, ist in der Regel kein anderer Staat bereit, ein Asylverfahren durchzuführen.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im bayerischen Zirndorf, das über Außenstellen in ganz Deutschland verfügt, prüft nun in drei Schritten, ob ein Flüchtling in Deutschland bleiben kann. Ausländer, die dort abgelehnt werden, können hiergegen noch die Verwaltungsgerichte anrufen. Nach Angaben der Ausländerbeauftragen Marieluise Beck führt dies immerhin zu einer Erhöhung der Anerkennungsquoten von rund 10 Prozent auf etwa 17 Prozent. Die Aussage von Innenminister Otto Schily, wonach 97 Prozent der Asylbewerber "Wirtschaftsflüchtlinge" seien, ist also unhaltbar.

Angesichts der aktuellen Diskussion in der Union fragt man sich allerdings, ob dort der aktuelle Stand des Asylrechts einfach nicht begriffen wurde oder die verunsicherte Partei nur ein symbolträchtiges Kampagnenthema sucht. Schließlich hätte es für den Großteil der Asylbewerber keinerlei Auswirkungen, wenn das Asylrecht im Grundgesetz völlig abgeschafft würde, da sie sich schon jetzt nicht auf das Grundrecht berufen können.

Auch die vorgeschlagene "institutionelle Garantie" würde hieran nichts ändern. Auch sie würde nur die Rechtsstellung der kleinen Zahl von Flughafenflüchtlingen verschlechtern, denn ihnen würde das individuell einklagbare Grundrecht genommen. Stattdessen würde sich der Staat allgemein verpflichten, ein Asylverfahren durchzuführen. Doch auch hier hilft letztlich die GFK, die eben auch einen individuellen Anspruch auf Prüfung der Fluchtgründe vorsieht. Nur im Status steht der Asylberechtigte, der eine unbefristete "Aufenthaltserlaubnis" hat, etwas besser da als der anerkannte GFK-Flüchtling, dessen "Aufenthaltsbefugnis" immer wieder verlängert werden muss.

Auch die Idee der CSU, die manchmal langwierige gerichtliche Prüfung zu kappen, ist aus rechtlichen Gründen nicht zu verwirklichen. Zum einen steht dem die Rechtsweggarantie des Grundgesetzes entgegen. Die CSU denkt deshalb auch schon über eine Grundgesetzänderung nach. Doch, und darauf weist das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) schon seit längerem hin, die Genfer Flüchtlingskonvention fordert ebenfalls eine unabhängige Überprüfung von Asylentscheidungen. "Zwar gibt es keinen Anspruch auf ein Gerichtsverfahren", so eine Sprecherin des Berliner UNHCR-Büros, "aber auch eine anderweitige Überprüfung braucht ihre Zeit, wenn sie rechtsstaatlichen Anforderungen genügen soll."

Deutlich wird hierbei allerdings, dass Deutschland schon lange keine Sonderstellung mehr einnimmt. Für den Großteil der Flüchtlinge gilt mit der Genfer Flüchtlingskonvention dasselbe Recht wie in allen anderen Staaten Europas auch. Dass die Ausgestaltung im Einzelnen differiert, hat lange den Blick auf diese Gemeinsamkeit verstellt. Die von Bundeskanzler Gerhard Schröder jetzt ins Spiel gebrachte "Europäisierung" des Asylrechts ist im Übrigen längst im Gange. Der 1997 ausgehandelte Amsterdamer Vertrag verlangt, dass bis zum Jahr 2003 europäische Mindestvorschriften für das Asylverfahren und die Anerkennungskriterien beschlossen werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention muss dabei beachtet werden.

Aus deutscher Sicht kann es durch die Europäisierung deshalb vor allem zu Verbesserungen kommen. Dagegen ist die Forderung der Bundesregierung nach einer besseren "Lastenverteilung" illusionär. Kaum jemand unterstützt dieses alte deutsche Anliegen, das in seinem Kern auch immer fragwürdiger wird. Immerhin hat Deutschland schon seit einiger Zeit nicht mehr die höchsten Asylbewerberzahlen in Europa. Abgelöst wurde die Bundesrepublik vielmehr von Großbritannien.