Neue Zürcher Zeitung, 22. November 2000 Verfahren über Öcalan in Strassburg Hearing vor dem Gerichtshof für Menschenrechte Mit einer Anhörung der Anwälte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg hat das Verfahren begonnen, mit dem der Kurdenführer Abdullah Öcalan das gegen ihn ausgesprochene Todesurteil für ungültig erklären lassen möchte. uth. Strassburg, 21. November Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg hat am Dienstag unter dem Vorsitz der schwedischen Richterin Elisabeth Palm eine Anhörung zu der vom Kurdenführer Abdullah Öcalan angestrengten Klage gegen die Türkei stattgefunden. Dabei wurde sowohl über die Zulässigkeit des Verfahrens als auch über die des verhängten Strafmasses beraten. Ziel der Anwälte Öcalans ist es, das Urteil des türkischen Staatssicherheits-Gerichtshofes für ungültig erklären zu lassen, durch das der Kurdenführer zum Tode verurteilt worden ist. Eine Entscheidung wird nach nichtöffentlicher Beratung der aus neun Richtern zusammengesetzten Kammer nicht vor Anfang Dezember erwartet. Zahlreiche Klagepunkte Öcalan gibt an, das Opfer zahlreicher Verstösse gegen die Europäische Menschenrechtskonvention zu sein, deren Rechtsverbindlichkeit von der Türkei anerkannt worden ist und auf deren Grundlage auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs erfolgt. Die betrifft wegen der gegen ihn verhängten Todesstrafe vor allem Artikel 2, der das Recht auf Leben garantiert. Die Türkei wird seit langem gedrängt, die Todesstrafe abzuschaffen und bis dahin ein Moratorium im Sinne einer Nichtvollstreckung von zum Tode Verurteilter einzuhalten. Ein wesentlicher Klagepunkt bezieht sich auf das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Hier prangerten Öcalans Anwälte zum einen die rechtlich umstrittenen Umstände seiner Gefangennahme im November 1998 in Kenya und der anschliessenden Entführung in die Türkei an. Dabei sei auch Artikel 3, das Verbot inhumaner Behandlung, grob verletzt worden. Eine weitere schwerwiegende Verletzung der Konvention betreffe den Artikel 8, der das Recht eines Angeklagten auf einen fairen Prozess stipuliert. Umstrittenes türkisches Gericht Die Anwälte halten weiter fest, dass ein fairer Prozess zum einen dadurch nicht möglich gewesen sei, dass Öcalan in seiner Isolationshaft im Imrali-Gefängnis bei Istanbul über längere Zeit keinerlei Kontakte zu seinen Rechtsanwälten gestattet wurde. Einen anderen Grund stelle der nach internationalen rechtsstaatlichen Massstäben umstrittene Staatssicherheits-Gerichtshof der Türkei dar, den die Türkei von sich aus im Zuge ihrer Bewerbung für die EU-Mitgliedschaft bald abschaffen will. Zudem habe ihn das Gericht auch unter Verletzung von Artikel 10, der sich auf das Recht auf Freiheit der Meinung, Überzeugung und der Religion bezieht, verurteilt. Das türkische Gericht hatte Öcalan am 29. Juni 1999 wegen geplanter Aktionen zur Abtrennung von Teilen des türkischen Territoriums und wegen der Bildung und der Führung einer terroristischen Vereinigung zum Tode verurteilt. Am 25. November 1999 bestätigte das Berufungsgericht das Urteil in allen Punkten, woraufhin der Strassburger Menschenrechtsgerichtshof die türkische Regierung nur fünf Tage später aufforderte, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, damit die Todesstrafe nicht vollstreckt werde. |