Süddeutsche Zeitung 21.11.2000 Außen- und Verteidigungsminister tagen in Brüssel Große Defizite beim Aufbau der Eingreiftruppe EU-Beauftragter Solana fordert höhere Rüstungsausgaben der Mitgliedsländer / Von Udo Bergdoll Brüssel - Die Außen-und Verteidigungsminister der Europäischen Union haben auf einer "Geber-Konferenz" am Montag in Brüssel festgestellt, ein gutes Stück bei der Aufstellung der europäischen Krisenreaktionstruppe vorangekommen zu sein. Soldaten sind genug verfügbar. Es stellten sich aber erhebliche Defizite beim Bedarf an strategischer Aufklärung, strategischem Transport und den Führungsfähigkeiten heraus. Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) sprach von einem "historischen Schritt nach vorn". Die EU werde schon 2002 zu humanitären Einsätzen in der Lage sein. Zu dem erklärten Ziel, bis 2003 militärisches Krisenmanagement betreiben zu können, sagte Scharping vorsichtiger, es bestünden nunmehr "gute Aussichten" für die volle Operationsfähigkeit. Es müsse aber auch noch über die Defizite gesprochen werden. Die schnelle Eingreiftruppe der EU soll bis 2003 aufgebaut sein und 60 000 Mann umfassen, die innerhalb von zwei Monaten mobilisiert und verlegt werden und bis zu einem Jahr eingesetzt werden können. Deutschland, Frankreich und Großbritannien werden mehr als die Hälfte der Verbände stellen. Der deutsche Anteil an den Landstreitkräften und auch an den Krisenreaktionsstreitkräften wird 20 Prozent betragen. Scharping hat der EU gemeldet, dass bis zu 18 000 Mann regelmäßig verfügbar sein werden. Der Anteil an den Landstreitkräften wird 13 500 deutsche Soldaten umfassen. Die EU muss auf 200 000 Mann zurückgreifen können, wenn sie bei mehrmaliger Rotation im Ernstfall mit 60 000 Soldaten operieren will. Bei der Brüsseler Konferenz sollen fürs Erste genügend Mann gemeldet worden sein. Es sollen auch Zusagen für 400 Kampfflugzeuge und 100 Schiffe gemacht worden sein. Es fehlt aber insbesondere noch an großen Flugzeugen und Schiffen für die Verlegung von Soldaten in Krisengebiete. Wie kürzlich im SZ-Interview mahnte der EU-Beauftragte für die Außen-und Sicherheitspolitik, Javier Solana, höhere Rüstungsausgaben der Mitglieder an, um die Ziele auch erreichen zu können. Über die Meldungen der einzelnen Staaten zirkulieren Zahlen, nach denen für die Landstreitkräfte Frankreich 12 000, Großbritannien 12 500, Spanien 6 000, Italien 6 000 oder die Niederlande 5 000 Mann gemeldet haben, die anderen Länder bis zu 3 500. Der britische Außenminister Robin Cook betonte, die EU baue keine neue Armee auf, sondern stärke ihre Fähigkeit zum Krisenmanagement. Die schnelle Eingreiftruppe sei also keine EU-Armee. Anders als bei der Nato gehören auch humanitäre Einsätze wie Evakuierungen nach Naturkatastrophen zu den Aufgaben der europäischen Truppe. Im nächsten Jahr will die EU alle internen Verträge geschlossen haben, um noch 2001 die notwendigen Vereinbarungen mit der Nato für den Rückgriff auf deren Einrichtungen und militärische Fähigkeiten schließen zu können. Vorraussichtlich am 15. Dezember werden sich die Außenminister der Nato und der EU zu gemeinsamen Beratungen in Brüssel treffen. Zur Brüsseler Geber-Konferenz gehört auch, dass die EU-Minister am heutigen Dienstag mit ihren Kollegen aus den Nato-Ländern zusammentreffen, die nicht oder noch nicht EU-Mitglieder sind. Die Türkei will sich mit Truppen beteiligen, fordert jedoch Sitz und Stimme in den militärischen Gremien der Union. |