Neue Zürcher Zeitung, 22. November 2000, Nr.273 Zypern als ewiger Zankapfel im Mittelmeer Die EU-Forderungen lösen in Ankara wilden Protest aus Der Konflikt um die Mittelmeerinsel Zypern könnte sich zu dem entscheidenden Stolperstein für die Türkei auf dem Weg in die EU entwickeln. Wegen der Forderungen der EU-Aussenminister gegenüber Ankara haben sich die im letzten Jahr stark verbesserten griechisch-türkischen Beziehungen fast über Nacht spürbar abgekühlt. it. Istanbul, 21. November Seit dem Treffen der EU-Aussenminister in der vergangenen Woche ist in der Türkei der Zypernkonflikt wieder ein Thema der öffentlichen Diskussion. Bei dem Treffen der Minister ging es um die formelle Frage, ob die EU-Kommission in ihrem Bericht zum Beitritt der Türkei die Lösung der Zypernfrage in den kurzfristigen, politischen Kriterien nennen sollte. Diese Kriterien müssten laut der Brüsseler Planung von Ankara innerhalb eines Jahres erfüllt werden. Der türkische Regierungschef Ecevit hatte zuvor den Einbezug Zyperns in diese Kriterien als absolut inakzeptabel bezeichnet. In harschem Ton hatte er seine europäischen Amtskollegen davor gewarnt, dass andernfalls die Türkei ihre Beziehungen zur EU erneut überprüfen werde. Bittere Erinnerungen Der explizite Bezug auf die Zypernfrage in den politischen Kriterien gilt für Griechenland als die minimale Bedingung für eine Annäherung der Türkei an die EU. Der für seine Kompromissbereitschaft bekannte griechische Aussenminister Papandreou hat am Montag einen Bericht zur Türkei blockiert; offenbar war darin keine rasche Lösung der Zypernfrage verlangt worden. Die EU-Aussenminister haben nun die schwierige Entscheidung auf ihr nächstes Treffen am 4. Dezember verlegt. «Europa setzt auf Zeit», kommentiert am Dienstag die Tageszeitung «Milliyet», während die linke «Cumhurriyet» bemerkt, dass das Problem um zwei Wochen verschoben worden sei. Das politische Klima zwischen Ankara und Athen hat sich in kurzer Zeit sehr stark abgekühlt. Die östliche Mittelmeerinsel bestimmt seit einem halben Jahrhundert wie kein anderer Faktor die Beziehungen der zwei Anrainerstaaten in der Ägäis. Die bilateralen Spannungen hatten Mitte der fünfziger Jahre angefangen, als auf Zypern der Unabhängigkeitskampf gegen die damalige britische Kolonialmacht ausbrach. Während die griechischzypriotische Mehrheit, die rund 80 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte, den Anschluss an Griechenland anstrebte, lehnten die Inseltürken dies aus Angst, marginalisiert zu werden, klar ab und befürworteten stattdessen eine Teilung der Insel. Nach der Unabhängigkeit der Insel 1960 gerieten auch die Türkei und Griechenland als Schutzmacht ihrer jeweiligen Volksgruppe in den Strudel der Ereignisse. Im Winter 1963/64 überfielen rechtsnationalistische Inselgriechen viele Dörfer der Inseltürken und massakrierten mehrere Zivilisten. Als Vergeltung wurde in Istanbul die damals noch über 150 000 Mitglieder zählende, prosperierende griechische Minderheit faktisch vertrieben. Zehn Jahre danach versuchte die Athener Junta einen Putsch gegen die griechischzypriotische Regierung. Darauf marschierte die türkische Armee auf Zypern ein und besetzte 40 Prozent der Insel, obwohl in Athen die Junta längst vertrieben war. Seither ist im Kollektivbewusstsein der Griechen ein Gefühl der Schuld gegenüber den Griechischzyprioten ständig präsent. Unterschiedliche Lösungsansätze Im vergangenen Jahrzehnt verfolgte Athen konsequent das Ziel, Zypern in die EU zu integrieren, ungeachtet davon, ob die Insel als Ganzes oder nur der griechischzypriotische Teil den Beitritt schafft. Auf diese Weise hoffte Griechenland, einen Teil seiner Schuld gegenüber Zypern abbezahlen und eine Stabilisierung im Süden herstellen zu können. Um eine Lösung für den seit 25 Jahren dauernden Konflikt in Brüssel zu erzwingen, könnte die griechische Regierung diesmal bereit sein, im Dezember den Weg der Türkei in die EU zu blockieren und so die Normalisierung der Beziehungen zum Nachbarland in Frage zu stellen. Für Ankara ist hingegen die Zypernfrage mit der Teilung der Insel bereits gelöst. Seit 1974 habe es schliesslich keine bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den zwei Bevölkerungsgruppen mehr gegeben, ist im Aussenministerium in Ankara zu hören. Die Türkei habe keine anderen Lösungsvorschläge für Zypern, es sei denn, die Situation bleibe, wie sie ist, schrieb vor kurzem der geachtete Kolumnist Mehmet Ali Birand. Der einzige Politiker türkischerseits mit einer klaren Zypernpolitik ist laut Birand der Führer der Inseltürken, Rauf Denktasch. Ihm schwebe aber als Lösung entweder die Unabhängigkeit des türkischen Nordens oder dessen Annexion an die Türkei vor. Trotz seinen maximalistischen Forderungen geniesst Denktasch Unterstützung bei einem Grossteil der türkischen Armee sowie beim Regierungschef Ecevit. Er hat letzte Woche eine Intervention der EU wie auch Vorschläge des Uno-Generalsekretärs Annan zu einer Lösung für Zypern abgelehnt. Das Spiel des Westens habe sich mit den Vorschlägen Annans entlarvt, sagte er vor seiner parlamentarischen Parteigruppe. Zypern soll laut Annan ein vereinter Staat werden, wobei der Norden Teile des Territoriums den Inselgriechen überlassen müsste. Die türkische Armee, als einzige Garantie für die Sicherheit der Inseltürken, müsste sich aus Zypern zurückziehen, sagte der Regierungschef wütend. Dies würde bedeuten, nicht nur die Sicherheit der Inseltürken, sondern auch die Sicherheit der Türkei aufs Spiel zu setzen. Die Verhärtung zwischen Athen und Ankara, so die Bilanz der türkischen Presse, gefährdet die Position der Aussenminister der beiden Länder als Architekten der türkisch-griechischen Normalisierung. Der ohnehin schwierige Weg der Türkei in die EU ist noch schwieriger geworden. |