NETZEITUNG, 21. Nov 23:52, ergänzt 22. Nov 00:45 Syrien amnestiert politische Gefangene Der syrische Präsident Baschar Al-Assad hat in der vergangenen Woche mehr als 600 politische Gefangene amnestiert. Die Regierung kündigte noch weitere Schritte zur Liberalisierung des Landes an. DAMASKUS. Das Mazzeh-Gefängnis in Damaskus ist zum Symbol für den Aufbruch Syriens in eine neue Ära geworden. Seit den 70er Jahren saßen hier Oppositionspolitiker ein, abgesetzte Präsidenten und in Missgunst geratene Minister, Islamisten, Kommunisten und andere Kritiker der allmächtigen Baath-Partei. Am Sonntag verfügte Syriens neuer Präsident Baschar Al-Assad , «dass das Gefängnis zu einem modernen Krankenhaus umgebaut wird," so ein Sprecher der Regierung. Die Häftlinge seien hier und in anderen Teilen des Landes auf freien Fuß gesetzt worden. Liberalisierungsdebatte Diese Amnestie ist Höhepunkt einer Liberalisierungsdebatte, die nach dem Tode des Diktators Hafes Al-Assad im Juni begann. Sein Sohn und Nachfolger Baschar Al-Assad hatte nach seiner Amtseinführung Reformen versprochen und damit eine Kettenreaktion ausgelöst: Zum ersten Mal kritisierten Prominente und Medien öffentlich das harte Vorgehen gegen politisch Andersdenkende. Außerdem wurde der Ruf nach einer Einbindung der Opposition in die politische Willensbildung laut - eine Forderung, nach der vor einem Jahr noch eine Zelle im Mazzeh Gefängnis sicher gewesen wäre. Auch die staatlich gelenkte Presse wurde außergewöhnlich deutlich: So äußerte ein Kommentator am Wochenende in der Zeitung Al Thawra die Hoffnung, dass sich die Amnestie als "das Vorspiel zu einer ruhigen, effektiven und verantwortungsvollen Neuorientierung des politischen Lebens" erweisen werde. Computerfreund Der in Großbritannien ausgebildete Baschar Al-Assad hatte sich noch zu Lebzeiten seines Vaters für mehr Pressefreiheit stark gemacht. So ließ er in Dörfern und Städten Computer Zentren gründen, die der Bevölkerung die Benutzung der Datenautobahn schmackhaft machen sollten. Dass der Besitz von Satellitenantennen und privaten Internetanschlüssen in Syrien eigentlich verboten ist, darüber wird seitdem hinweg gesehen. Reform des Strafsystems geplant Als nächstes sollen nach dem Willen des neuen Herrschers die drakonischen Strafen für nicht-politische Straftaten abgeschafft werden: So sollen Fahnenflucht, Verstöße gegen Verkehrsregel und Auflagen der Kommunen sowie Schmuggel künftig nicht mehr unbedingt mit Gefängnisstrafen geahndet werden. Ausgenommen davon sollen nur bewaffneter Widerstand gegen die Polizei und die Einfuhr von Betäubungsmitteln bleiben. Das Parlament wird sich damit in der kommenden Woche befassen; die Zustimmung gilt als sicher. Die Abgeordneten folgen in der Regel dem Willen des Präsidenten. In Syrien wird auch die Demokratisierung mit diktatorischen Mitteln betrieben. (nz) Für das Web ediert von Oliver Eberhardt |