junge Welt 22.11.2000 Arafat - Karte in Baraks Ärmel? Israel und USA schwanken zwischen Unterstützung und Angriff auf Palästinenserpräsidenten Nachdem bereits im Zusammenhang mit der israelischen Mordkampagne gegen einzelne als Arafat-kritisch geltende militärische Führer des Palästinenseraufstandes Mutmaßungen darüber angestellt wurden, daß Israel bewußt dem Palästinenserpräsidenten den Rücken freischießt, hat dieser Verdacht mit Informationen über das Zurückhalten eines Geheimberichtes durch die israelische Regierung neue Nahrung erhalten. Führende israelische Regierungsbeamte, wie die für die Verhandlungen mit den Palästinensern verantwortlichen Gilead Shehr und Außenminister Shlomo Ben Ami, sollen Ministerpräsident Ehud Barak davon überzeugt haben, daß man Yassir Arafat und dessen Gefolgsleute noch brauche und es damit nicht vertretbar sei, einen Bericht über die unter führenden Kader von Arafats Palästinensischer Autonomiebehörde (PA) wuchernde Korruption an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Zumindest dürfe der vom israelischen Geheimdienst verfaßte Bericht nicht »unbereinigt« verbreitet werden. Auch die US-Regierung, die das »Weißbuch« natürlich kennt, hat ihn bislang unterdrückt. Zu den Vorwürfen gegen die PLO-Führung gehören Geldwäsche, Nutzung und Verkauf gestohlener israelischer Autos und finanzielle Korruption in großem Ausmaß, in die auch der de facto Ministerpräsident der PA, Nabil Shaath, verwickelt sei. Die Korruptionsvorwürfe gegen die Arafat-Gruppe sind nicht neu und gehören zu den Gründen, die eine Reihe führender Repräsentanten der Palästinenser schon vor längerer Zeit zum Bruch mit den Autonomiebehörden veranlaßt hatten. Der arabische Hintergrunddienst Middle East Realities erinnerte in diesem Zusammenhang daran, daß bereits vor einigen Jahren in Tel Aviv ein geheimes Bankkonto Arafats von mehreren hundert Millionen Dollar auffiel, das angeblich dort für den Fall deponiert gewesen sein soll, daß Arafat, dessen Familie und Freunde eines Tages genötigt sein sollten, vor ihren Landsleuten ins Exil zu fliehen. Ebenfalls auf der Basis von Korruptionsvorwürfen hatte die palästinensische Legislative schon vor Jahren gefordert, Nabil Shaath abzusetzen und vor Gericht zu stellen. Die Arafatisten ihrerseits reagierten teilweise mit physischen Angriffen auf die Abgeordneten, die solches gefordert hatten, und entmachteten das Parlament daraufhin weitestgehend. Möglicherweise war es kein Zufall, daß Arafat just zu dem Zeitpunkt, als die Informationen über das »Weißbuch« durchsickerten, die Ausrufung des unabhängigen palästinensischen Staates, die er kurz zuvor noch als unmittelbar bevorstehend angekündigt hatte, erneut verschob. Auf jeden Fall ging dem ein längeres Gespräch mit US-Präsident Clinton voraus, das vermutlich weniger durch die Kraft der Argumente als durch die einfache Tatsache überzeugte, daß Arafat - wie es die israelische Zeitschrift Challenge formulierte - »von den USA und Israel bis zum letzten Gewehr abhängt«. Ohne deren Wohlwollen hat er kein Geld, um seine Ausgaben zu bestreiten. »In der Tat« - so Challenge weiter - »kann er ohne ihre Zustimmung nicht reisen, kein Telefongespräch führen oder das Licht anknipsen, denn all das bleibt unter israelischer Kontrolle.« Nur bei oberflächlicher Betrachtung besteht ein Widerspruch zwischen der Fürsorge, die die israelische Regierung und ihre US-amerikanischen Unterstützer Yassir Arafat angedeihen lassen, und Aktionen wie dem Beschuß des Hauptquartiers von Arafats El-Fatah-Organisation in Gaza am 20. November. Ohne Zweifel möchte das israelische Establishment eine palästinensische Marionette haben, die ihnen die Aufgabe, die Palästinenser zu unterdrücken, weitgehend abnimmt. Das Oslo-Abkommen hatte unter anderem genau dieses Ziel. Allerdings bestehen oder bestanden jedenfalls bis vor kurzem offensichtlich unterschiedliche Einschätzungen über die Fähigkeit von Arafats Autonomiebehörden, eben diese Aufgabe zu lösen. Der israelische Likud-Block, von Falken wie Ariel Scharon repräsentiert, ist offenbar der Meinung, daß Arafat diese »Verpflichtung« nicht erfüllen könne und Israel dank seiner militärischen Überlegenheit und seiner Unersetzlichkeit für die Interessen des Imperialismus in der Region den jetzigen Palästinenseraufstand nutzen solle, um ein für allemal klare Verhältnisse zu schaffen. Demgegenüber setzte die regierende Arbeiterpartei mit US-Unterstützung bislang eher auf das von der britischen Kolonialmacht ererbte Konzept der »indirekten Herrschaft«, weil sie glaubte, Arafat sei doch in der Lage, die »Osloer Aufgaben« zu erfüllen. Die Bombardierung des Fatah-Hauptquartiers - angeblich eine Vergeltungsmaßnahme für den tödlichen Bombenanschlag auf einen israelischen Schulbus durch unbekannte palästinensische Täter - könnte zwar ein weiteres Mittel sein, Arafat unter Druck zu setzen. Keineswegs ausgeschlossen ist jedoch, daß es nun auch der israelischen Regierung darum geht, dem Palästinenserpräsidenten den Teppich unter den Füßen wegzuziehen. In der Tat ist der Bombardierung des Hauptquartiers nicht nur der Anschlag auf den Schulbus vorausgegangen, sondern auch der über alle Medien verbreitete Aufruf Arafats, die bewaffneten Aktionen gegen die Kolonialmacht einzustellen. Dieser Aufruf jedoch ist im wesentlichen ohne Wirkung geblieben. Das könnte das ausschlaggebende Argument auch für die Regierung Baraks gewesen sein, nun konsequent der PA und Arafat den Garaus zu machen. Für eine solche Sicht der Dinge gibt es ernstzunehmende Hinweise. Wie die israelische Tageszeitung Yediot Aharanot am Montag schrieb, hätten hochrangige Mitglieder der PA damit begonnen, ihre Familien ins Ausland zu bringen und ihre Bankguthaben ebenfalls auf ausländische Banken zu transferrieren. Das jedenfalls hatte ihnen am Tag zuvor das Mitglied des Palästinensischen Gesetzgebenden Rates, Hassan Khader, vorgeworfen. Khader gehört zur Opposition innerhalb der Fatah. Am gleichen Tag berichtete eine andere israelische Zeitung, Maariv, daß sich mehrere arabische Finanzminister jetzt entschlossen hätten, kein Geld mehr direkt an die PA zu überweisen, sondern dieses auf andere Weise der palästinensischen Bevölkerung zukommen zu lassen. Anton Holberg
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