Frankfurter Rundschau, 22.11.2000 UN-Truppe als Ausweg Rettung aus der verfahrenen Lage im Nahen Osten kann derzeit nur von außen kommen Von Inge Günther Keiner weiß, wie lange der bewaffnete Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern noch dauern wird. Genauso wenig lässt sich eine politische Lösung absehen, obwohl jeder sie kennt. Irgendwann, wenn die Waffen schweigen, werden die Führungen beider Seiten wieder zu Gesprächen zusammentreffen. Ziemlich wahrscheinlich, dass dann die alten Pläne aus den Schubladen geholt werden, auf die man schon in Camp David zurückgegriffen hat. Mag auch sein, dass man an einem künftigen Verhandlungstisch das ehrgeizige Ziel bis auf weiteres ad acta legt, den Zwei-Völker-Disput um ein Land ein für alle Mal zu beenden und stattdessen eine Art neues Interimsabkommen beschließt. Aber so oder ähnlich muss es kommen. Fragt sich nur, wie viel Blut bis dahin vergossen wird. Denn eines ist sicher: diese neue Konfrontation der Gewalt in Nahost - die leicht in einen Regionalkrieg ausufern könnte, den eigentlich niemand will - wird keinen alleinigen Sieger kennen. Darin beruht die Absurdität des Konflikts. Aber sie hat auch viele Facetten. Etwa, wenn Israels Regierungschef Ehud Barak den Palästinensern mit Raketenbeschuss von Gaza-City beizubringen versucht, dass sich Gewalt nicht auszahlt. Eine militärische Operation, die aus israelischer Sicht zwar unvermeidlich erschien, aber kontraproduktiv ist. Nicht allein, weil dieser bislang heftigste Luftangriff palästinensischen Bombenlegern ein weiteres Motiv liefert, es den Israelis heimzuzahlen. Sondern auch, weil Barak gezielt offizielle Institutionen der Autonomie-Regierung beschießen ließ - Symbole des in Oslo beschlossenen Friedensprozesses. Ob der israelische Premier damit demonstrieren wollte, dass PLO-Chef Yassir Arafat für ihn kein Partner mehr ist, oder ob er ihn "nur" in die Knie zwingen will, ist unerheblich. In der Konsequenz ist beides fatal. Arafat, dessen Autorität bei der eigenen Bevölkerung arg ramponiert ist, muss jetzt wieder radikalere Töne anschlagen, um seinen Führungsanspruch zu behaupten. Zumal der palästinensische Aufstand gegen die israelische Besatzung auch mit einer inneren Rebellion gegen die als korrupt und unfähig geltende Autonomie-Regierung zu tun hat. Im Klartext: die Tunis-Clique, die von außen kam und einen Frieden verhieß, der sie selbst zu Privilegierten machte, brachte den Bewohnern in Gaza und Westbank aber eine Vielzahl demütigender Militärcheckpoints ein. Zwischen Israelis und Palästinensern zeigt sich in diesem Punkt eine Parallele. Es sind innenpolitische Probleme, die jeden Ansatz eines Kompromisses erschweren, wenn nicht gar verhindern. Weder Arafat noch Barak sind im Besitz einer politischen Mehrheit, um durchzustarten und einen Friedensvertrag zurechtzuzimmern. Obwohl der, falls er denn zu Stande käme, beide Völker überzeugen könnte. Ohne Barak und Arafat aber, die aus purem Eigeninteresse auf eine gewisse Kontrolle von Gewalt und Gegengewalt aus sind, könnte sich die Spirale der Eskalation bis ins schier Endlose drehen. Deshalb tut Eile Not. Rettung aus der verfahrenen Lage kann derzeit nur von außen kommen. Doch die Rolle dieser dritten Seite können nicht allein die USA ausfüllen. Schon weil es für Bill Clinton als Nahost-Chefvermittler keinen gleichwertigen Nachfolger im Weißen Haus gibt, und Washington bei den Palästinensern im Verdacht der Parteilichkeit steht. Umgekehrt trauen die Israelis den Vereinten Nationen nicht, weil die zu viele gegen sie gerichtete UN-Resolutionen beschlossen haben. Eine konzertierte Aktion von Washington und UN jedoch könnte sich als ausbalanciert erweisen, um beide Konfliktseiten zur Mäßigung anzuhalten. Besser noch, wenn auch die Europäer mitspielen. Unbewaffnete UN-Beobachter sind zwar kein Allheilmittel gegen kriegerische Fehden, wie man aus Erfahrung in anderen Ecken der Welt weiß. Ihre Entsendung nach Gaza und Westbank wäre sicher keine Garantie dafür, weitere Attentate und militärische Übergriffe auszuschließen. Aber sie würde zumindest einen politischen Ausweg öffnen. In erster Linie für Arafat, der geltend machen könnte, dass das seit Monaten andauernde tägliche Sterben der Palästinenser im Kugelhagel der Israelis nicht ganz vergebens war. Um einen Gewaltverzicht durchsetzen zu können, braucht er einen vorzeigbaren Erfolg. In zweiter Linie käme das den Israelis zugute, die eine Beruhigung der Lage herbeisehnen, eine Rückkehr zum Alltag. Es sind die jüdischen Siedler, die sich am entschiedensten gegen eine internationale Schutztruppe sperren. Aus simplem Grund: Deren Stationierung würde verdeutlichen, dass die Siedler auf besetztem Territorium leben. Für Israels Nationalrechte existiert das Problem der Okkupation, der Kern des Konflikts, schlichtweg nicht. Sie tut so, als ob ihre Welt wieder in Ordnung wäre, wenn man die Armee die Sache mit den aufständischen Palästinensern lösen ließe. Nur, auf was soll das hinauslaufen? Auf ein Flächenbombardement von Gaza und dem Westjordanland oder einen Einmarsch in die autonomen Städte? Um seiner selbst willen kann Israel seine militärische Übermacht nicht voll ausspielen. Genauso wie die Palästinenser mit dem Rückgriff auf Terror ihren Anspruch auf Freiheit beschädigen. Sonst gibt es am Ende nur Verlierer.
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