junge Welt, 23.11.2000 Interview Gibt die Intifada Anlaß zu Hoffnung? Gespräch mit der israelischen Journalistin Amira Hass Die Journalistin Amira Hass ist in der israelischen Tageszeitung Haaretz für die Berichterstattung über die palästinensische Gesellschaft zuständig. Seit sieben Jahren lebt Hass in den palästinensischen Gebieten, zunächst in Gaza und später in Ramallah. Das Interview ist der französischen Zeitung L'Humanité entnommen, die Übersetzung für jW besorgte Anton Holberg F: Wie haben Sie die Entwicklung der Situation in den palästinensischen Gebieten erlebt? Die Palästinenser fragen mich sehr oft, was ich von ihnen denke. Ich antworte ihnen, daß ich sie wirklich geduldig finde. Das erstaunt sie immer, weil das nicht das Bild ist, das man von ihnen hat. Ich habe ihr Leben sieben Jahre lang verfolgt. An ihrer Stelle wäre ich schon vor Jahren explodiert. Wenn ich heute all diese Demonstrationen sehe, dann denke ich noch immer, daß sie sehr geduldig sind. Der Wutausbruch ist wirklich spontan. Man kann sich sogar über die Art und Weise wundern, wie sie sich umbringen lassen. Aber in Wirklichkeit ist es so, daß der Krieg in den vergangenen sieben Jahren zwar von anderer Art war, aber ein Krieg war es auf jeden Fall. Ein Abnutzungskrieg, der sie ermüdet. Während all der Jahre wußten die Menschen, daß es so nicht weitergehen kann. Sie haben nicht aufgehört, dem Frieden eine Chance zu geben, dann noch eine, dann noch einmal eine und schließlich wieder eine. Was ich aber auch feststelle, ist die Abwesenheit der Palästinensischen Behörde. Deren Vertreter kommen nicht einmal offiziell zu den Begräbnissen. Das ist zwar dramatisch, aber nicht wirklich erstaunlich. Seit Jahren kann man sehen, wie sie sich der Gesellschaft entfremden. Dieser Wandel betrifft auch die Fatah. Seit sieben Jahren haben ihre Führer das Spiel mitgespielt, sogar wenn sie selbst oder ihre Angehörigen unter dem Mangel an Bewegungsfreiheit und der Präsenz der Siedlungen litten. Und plötzlich haben die Menschen »Nein« gesagt. All diese Jahre waren von der Angst vor der Zukunft geprägt, wegen dieser Enttäuschungen, weil der Friedensprozeß sie nicht wirklich erreicht hat. Die Wut auf die israelische Armee und die Siedler hat immer bestanden, selbst wenn sie nicht wie heute kollektiv zum Ausdruck gebracht wurde. F: Wer die israelische Presse verfolgt, wird den Eindruck nicht los, daß Sie unter Ihren Kollegen ziemlich isoliert sind. Wenn ich zum Begräbnis eines 14jährigen Palästinensers gehe, dann weiß ich, daß ich für ein israelisches Publikum schreiben werde. Ich muß mir überlegen, wie ich diese Leser erreichen kann. Als Israelin kann ich nicht wie eine Palästinenserin schreiben. Ich muß das so tun, daß meine Leser sehen, wie grauenhaft das ist, weil sie sich dessen gar nicht bewußt sind. Es wäre gut, wenn die einfache Tatsache, über den Tod zu schreiben, sie schockierte. Das tut es aber nicht. Daß ich es als notwendig erachte, in der Gesellschaft, das heißt, mit den Menschen zu leben, über die ich schreibe, hat vielleicht damit zu tun, daß ich eine Linke bin und aus einer kommunistischen Familie stamme. Meine Eltern haben den Holocaust überlebt. F: Ist es nicht sehr hart, sich gegen den Konsens der israelischen Gesellschaft zu stellen? Ich glaube nicht, daß der Konsens so stark ist, wie man gemeinhin denkt. Aber das ist nicht mein Problem. So lange Haaretz meine Artikel veröffentlicht - umso besser. Infolge der jetzigen Intifada sprechen die Menschen in Israel über die Siedlungen. Ich glaube nicht, daß das, was ich schreibe, viel ändern wird, aber ich hoffe, daß es die Menschen des israelischen Friedenslagers bewegt. Die Frage der Kolonien hat eine grundlegende israelische Haltung verewigt: sich nicht um das Prinzip der Gleichheit zu kümmern. Wenn sie in einer Siedlung leben, die Land, Raum, Wasser und all das hat, was die Menschen, die in den Dörfern rundherum oder in den Flüchtlingslagern leben, nicht haben, und wenn sie diese Situation aufrecht erhalten, dann verewigen sie das Konzept der Ungleichheit. Das ist der Grund für die Intifada. F: Haben Sie Anlaß zu Optimismus? Ich sehe nicht, daß sich in der israelischen Gesellschaft irgendwelche Veränderungen vollziehen, die eine Antwort auf die politischen Forderungen der Palästinenser sein könnten. Das jedoch ist der einzige Weg. Leider hat noch immer die Idee Oberhand, man müsse die Palästinenser mit militärischen Mitteln unter Kontrolle halten, oder indem man sie umzingelt. Die Intifada wird lange dauern und für die Palästinenser sehr hart sein. Über kurz oder lang wird in Israel das Problem nicht mehr die erste Seite der Zeitungen einnehmen. In Israel gibt es eine sehr starke militärische, ökonomische und ideologische Strömung, die jede Dynamik stoppen will, die zur Gründung eines palästinensischen Staates führt, die Frage der Flüchtlinge von 1948 oder die der Siedlungen regeln könnte. Für diese Strömung würde ein friedlicher Weg bedeuten, daß die militärische Überlegenheit, die wirtschaftliche Hegemonie und die Unterdrückung obsolet würden. Der Friede widerspricht ihren Interessen. Selbst wenn die Mehrheit der Israelis den Frieden wollte, würde der Weg noch lang sein. Wenn sie hier als jüdische Gemeinschaft, als jüdische Individuen leben wollen, dann müssen sie begreifen, daß sie das auf eine andere Art und Weise tun müssen. Als ethnisch exklusiver Staat ist das nicht möglich. Interview: Pierre Barbancey
|