Frankfurter Rundschau, 24.11.2000 Barak kämpft ums politische Überleben - und um einen Kurs Nach Bus-Attentat schwankt Israel zwischen Vergeltung und Konfliktbegrenzung / Internationale Diplomatie auf Hochtouren Von Inge Günther (Jerusalem) Unbeirrt gab sich Israels Premier, als er Donnerstagmorgen die Verletzten des Bombenattentats von Hadera im Hillel- Yaffe-Krankenhaus besuchte. "Wir werden", versprach Ehud Barak, "aus diesem Kampf siegreich und stark hervorgehen." Wie das gelingen soll, weiß freilich auch der Regierungschef nicht so genau. Ohne konkreten Beschluss hatte sich Stunden zuvor das Sicherheitskabinett, das nach dem Terroranschlag einberufen worden war, zu einer weiteren Krisensitzung auf Donnerstagabend vertagt. Einfache Antworten sind derzeit nicht zu haben auf die Frage nach einer "angemessenen Reaktion", darauf angelegt, den Palästinensern erneut zum Zwecke der Abstrafung die harte Keule vorzuführen, aber zugleich keiner zusätzlichen Eskalation Vorschub zu leisten. Ein Dilemma, das den kühlen Köpfen im Kabinett nur zu bewusst ist. "Eine militärische Reaktion, egal wie erfolgreich sie ausfällt, wird die Gewalt nicht beenden", zeigte sich Minister Amnon Lipkin-Schahak, wie Barak ein früherer Generalstabschef, überzeugt. Doch bei den Nationalrechten, die nach dem für zwei Menschen tödlichen Busanschlag von Hadera zu Zehntausenden in Jerusalem unter der Parole "Lasst die Armee siegen" demonstrierten, kommt so etwas schlecht an. Ganz ignorieren kann Barak solcherlei Verlangen nicht, aber ebenso wenig die Signale, die der Palästinenser-Präsident via US-Außenministerin Madeleine Albright übermitteln ließ. Demnach ist Arafat erneut an Friedensverhandlungen interessiert. Ob dahinter reine Taktik steckt, um die Sympathien der Welt zurückzugewinnen, oder tatsächlich der Wunsch, aus dem Zyklus der Gewalt herauszukommen, mochte Israels Außenminister Schlomo Ben-Ami nicht ausmachen. Aber: "Wir müssen zumindest den Amerikanern erlauben, die Sache zu checken." So liefen die diplomatischen Bemühungen am Donnerstag wieder auf Hochtouren. Eingeschaltet war Russland, wohin Arafat am heutigen Freitag reisen wird. Schließlich besteht akute Gefahr, dass die nächste Eskalationsstufe - etwa ein israelischer Direktangriff gegen Arafats Regierungssitz -- in der arabischen Welt als Kriegserklärung verstanden wird. Zwischen schier unvereinbaren innen- und außenpolitischen Rücksichten versuchte Barak, irgendwie Kurs zu halten. Den Verletzten versprach er, Israel setze alles daran, die palästinensischen Bombenleger zu jagen, aber man werde sich nicht "in einen überflüssigen Krieg" ziehen lassen. Nach vorherrschendem Verdacht in israelischen Regierungskreisen könnte es Arafat auf Letzteres angelegt haben, um "den Konflikt zu balkanisieren" und eine internationale Intervention zu erzwingen. Beobachter vermuteten, dass Israel auf Kommandoaktionen zur Zerschlagung von Terrorzellen zurückgreifen will. Die Schlacht lasse sich nicht mit Luftangriffen gewinnen, schrieb Geheimdienstexperte Ron Ben Yischai in der Zeitung Yediot Achronoth, sondern "eher mit intensivem diplomatischem Druck, ergänzt um eine Variation von Armeeaktionen". Die ohnehin strenge Abriegelung der Palästinenser-Gebiete hat das Einschleusen der Autobombe ins nördlich von Tel Aviv gelegene Hadera nicht verhindern können. Aus Protest gegen die israelischen Vergeltungsangriffe beließ es Arafats Berater Marwan Kanafani bei den lapidaren Worten, man habe mit dem Attentat nichts zu tun. Gleich zwei Gruppen bekannten sich als Urheber: der bewaffnete Flügel der Hamas sowie die bislang unbekannte "Islamische Nationale Widerstands-Brigade". |