Neue Zürcher Zeitung (CH), 25.11.2000 Hungerstreiks in türkischen Gefängnissen Warnung vor Gesundheitsschäden it. Istanbul, 24. November Eine neue Welle von Hungerstreiks hat seit Ende Oktober die türkischen Gefängnisse landesweit erfasst und droht für einen Grossteil der Beteiligten fatale Folgen zu haben. An der Protestaktion nehmen laut Angaben von Menschenrechtsorganisationen sowie der Presse insgesamt 816 Insassen in 18 Gefängnissen teil; 71 von ihnen verweigern seit 36 Tagen jegliche Nahrung oder medizinische Untersuchung. Ihr Gesundheitszustand ist kritisch. Begonnen haben den Hungerstreik 37 politische Gefangene in der Stadt Aydin am 20. Oktober. Mit ihrer Aktion wollten sie die Regierung dazu bewegen, den Bau der neuen Gefängnisse des Typs F - in ihrer Sprachregelung Särge, in denen man lebend begrabenwird - einzustellen. Ferner forderten sie die Annullierung des Antiterrorgesetzes. Der selbstzerstörerischen Aktion schlossen sich bald die Mitglieder mehrerer linker und linksextremer Organisationen an. In ihren Kreisen herrscht grosse Verärgerung über die neue Reform des Justizministers Hikmet Sami Türk, welche die bestehenden Grosszellen in den Gefängnissen durch Einzelzellen ersetzen soll. Die Tatsache, dass die Einzelzellen hauptsächlich für politische Insassen vorgesehen sind, verstärkt die Angst der Häftlinge und ihrer Familien. Sie wähnen eine beabsichtigte Isolation und vollständige Unterwerfung der politischen Dissidenten. In den Städten Istanbul, Ankara, Adana, Bursa und Aydin schlossen sich dem Hungerstreik der Insassen auch zahlreiche Familienangehörige an. Der Vorsitzende der Ärztekammer in Izmir, Fatih Sürenkök, hat mittlerweile vor schwerwiegenden Gesundheitsschäden für die Beteiligten gewarnt. Die Folgen des Hungerstreiks seien offensichtlich, erklärte er vor der Presse: Brechreiz, Haarausfall, grosser Gewichtsverlust und Sehstörungen. Sürenkök forderte die Regierung zum Handeln auf, bevor die ersten Meldungen über Tote aus den Gefängnissen eintreffen. Beim letzten Todesfasten politischer Gefangener 1996 hatten zwölf junge Menschen ihr Leben verloren, Dutzende trugen bleibende gesundheitliche Schädigungen davon. |