Bremer Nachrichten, 25.11.2000 Die Türkei will mit Europäern mit marschieren NATO-Generalsekretär Robertson bekam Ankaras Sorgen wegen EU-Verteidigungsinitiative zu hören Von unserer Korrespondentin Susanne Güsten Istanbul. Manchmal ist es von Vorteil, von Krisenherden umgeben zu sein. Die Türkei ist zwar kein EU-Mitglied und wird es auf absehbare Zeit auch nicht werden, doch die Chancen Ankaras, dennoch gleichberechtigt an der neuen europäischen Verteidigungsinitiative beteiligt zu werden, stehen nicht schlecht. Die geographische Lage des Landes in der Nähe potenzieller Einsatzgebiete der geplanten europäischen Eingreiftruppe auf dem Balkan und im Kaukasus ist dabei einer von mehreren Trümpfen der türkischen Regierung. Mindestens ebenso bedeutsam ist die Tatsache, dass die Türken den Europäern Soldaten, Waffen und Stützpunkte zur Verfügung stellen können, die diese dringend brauchen können: In Zeiten, in denen überall in Europa die Streitkräfte verkleinert werden und trotzdem eine Eingreiftruppe mit bis zu 100000 Soldaten, 400 Kampfflugzeugen und 100 Schiffen aus dem Boden gestampft werden soll, sind die Angebote von der militärisch starken Türkei verlockend. Dafür verlangt Ankara allerdings volle Mitsprache bei der Einsatzplanung. Von einem "türkischen Köder" ist deshalb in NATO-Kreisen die Rede. Dieser Köder und die Verhandlungen zwischen Türken und Europäern standen im Mittelpunkt eines Besuches von NATO-Generalsekretär George Robertson (Foto) am Donnerstag in Ankara. Ministerpräsident Bülent Ecevit erläuterte dem Gast aus Brüssel die türkischen Sorgen hinsichtlich der europäischen Initiative. Als NATO-Mitglied, das der EU nicht angehört, befürchtet die Türkei, ausgegrenzt zu werden. Zwar haben andere NATO-Staaten wie Norwegen dasselbe Problem, doch bei der Türkei ist es wegen der Bedeutung Ankaras für die Allianz besonders heikel. Und die Türken drohen ganz besonders offen mit Gegenmaßnahmen, wenn sie am Ende doch nicht mit den Europäern mit marschieren dürfen: Ankara will in diesem Fall mit seinem Veto-Recht in der NATO verhindern, dass die Europäer Einrichtungen der Allianz für ihre eigenen Einsätze benutzen dürfen. Damit könnte man die europäischen Träume von einer eigenen, von den USA unabhängigen Sicherheitspolitik vergessen. Denn bei der Planung von Einsätzen einer Eingreiftruppe müsste Europa zwangsläufig NATO-Quellen anzapfen, weil nur die Allianz über entsprechendes Gerät und Know-How verfügt. Die Türkei wird es aber nicht zulassen, dass die türkischen Offiziere in den Planungsstäben der NATO an der Vorbereitung eines europäischen Einsatzes beteiligt werden, ohne dass Ankara ein Wort mitreden darf. Vom militärischen Standpunkt aus ist eine Teilnahme der Türkei an der geplanten europäischen Eingreiftruppe nach Ansicht von Experten sinnvoll. Die türkische Armee, mit ihren 600000 Mann die zweitstärkste Streitmacht in der NATO, kann den Europäern nicht nur geographische Vorteile, Stützpunkte und Soldaten bieten, sondern auch Verlässlichkeit. Die Türken haben in der Allianz den Ruf eines Partners, der für Auslandseinsätze immer zu haben ist. Für die Euro-Truppe hat die Türkei bis zu 5000 Soldaten, 40 Kampfjets und auch Kriegsschiffe angeboten. Das müsse aber noch nicht das letzte Wort sein, erklärte die türkische Regierung jetzt - immer mit dem Hinweis, dass alles von der gleichberechtigten Teilnahme Ankaras an dem Projekt abhänge. "Wenn die EU in irgendeinem Bereich Defizite sieht und uns offiziell fragt, können wir unser Angebot noch einmal überarbeiten", sagte Verteidigungsminister Sabahattin Cakmakoglu. Deshalb wird um einen Kompromiss gerungen, der den Türken auch ohne EU-Mitgliedschaft ein Mitspracherecht einräumen könnte. Robertson sagte am Donnerstag zu, Ankara werde auf jeden Fall ein "Hauptakteur" in den europäischen Verteidigungsplänen sein. "Wir alle brauchen die Türkei." Für Ankara geht es nicht nur um rein militärische Fragen, sondern um mehr: Eine gleichberechtigte Rolle für Ankara im Euro-Heer wäre eine indirekte Anerkennung der Türkei als europäisches Land. |