junge Welt, 27.11.2000 »Mit der Faust in der Tasche« BKA-Tagung zum Rechtsradikalismus. Jelpke: »Es wird weiter verharmlost« Am Ende einer dreitägigen Herbsttagung im Wiesbadener Bundeskriminalamt (BKA), bei der sich 300 Experten mit verschiedenen Aspekte des Themas Rechtsradikalismus befaßten, erklärte der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir, sein Deutschland-Bild sei Anfang der neunziger Jahre »schwer erschüttert« worden. Für den grünen Parlamentarier ist die seit Jahren verstärkt anzutreffende rassistische Gewalt mit einem Bild verbunden, das wie ein »Schock« gewirkt habe: »Das Bild der brennenden Häuser in Rostock-Lichtenhagen hat sich tief bei mir eingefressen.« Als der damalige Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern den Befehl zur Deeskalation und zum Rückzug der Polizei gegeben habe, in einer Situation, wo »ein rechter Mob mit Tötungsabsichten vor die Häuser gezogen sei, und es gar keine keine Deeskalation geben konnte«, sei seine Vorstellung von der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland ins Wanken geraten. Die abschließende Diskussionsrunde der BKA-Tagung unte r dem Titel »Rechtsextremismus, Antisemitismus und remdenfeindlichkeit« förderte noch andere Bilder zutage. Auch Jörg Ziercke vom Arbeitskreis »Innere Sicherheit« im Innenministerium von Schleswig-Holstein veranschaulichte seine Position mit einem Bild. Dem Vorwurf, die Polizei sei auf dem rechten Auge blind und schütze Nazi-Aufmärsche, hielt er entgegen: Erlaubte Demos müßten nun mal geschützt werden. Aber, so Ziercke, »viele Polizisten begleiten rechte Aufmärsche nur widerwillig und mit der Faust in der Tasche«. Bei Demos Linker ist diese Zurückhaltung seltener zu beobachten. Ob mit Faust in der Tasche oder doch eher »auf dem rechten Auge blind?«, so die Fragestellung am letzten Tag der BKA-Tagung zum Zustand der Sicherheitsbehörden, beantworteten die eingeladenen Experten unterschiedlich. Bernd Wagner, einst Kriminalpolizist im Ministerium des Inneren der DDR, schilderte Beispiele aus Ostdeutschland: Hier meldeten örtliche Polizeibehörden oftmals, es gebe keinerlei Probleme vor Ort, obwohl Rechtsradikale und NPD- Kader Jugendclubs dominierten, großen Einfluß auf die Jugendkultur hätten und sich klar eine rechtsradikale Subkultur ausbreite. Auch Professor Hans-Joachim Heuer, er lehrt an der Polizei-Führungsakademie, räumte Versäumnisse ein. Wenn staatliche Stellen sogenannte »national befreite Zonen« zuließen, werde das Gewaltmonopol des Staates untergraben. Das hatte zu Beginn der Tagung Michel Friedman vom Zentralrat der Juden in Deutschland deutlicher angeprangert: »Es kann doch nicht sein, daß wir über Jahre hinweg von ausländerbefreiten Zonen sprechen, ohne daß diese endlich befreit werden, und zwar von den Nazis und nicht von den usländern.« Friedman zeichnete, anders als die meisten Redner auf der BKA-Tagung, eine eher düsteres Bild der gesellschaftlichen Realität. Bis heute gebe es einen Umgang mit Rechtsradikalen, der angesichts dramatisch angestiegener Zahlen von gewalttätigen Übergriffen und einer Ausbreitung rassistischer Anschauungen nicht akzeptabel sei: »Es kann doch nicht sein«, so Friedman, »daß jetzt, wie in Cottbus geschehen, die meisten Jugendlichen, die einen Menschen in Guben zu Tode gebracht haben, auf Bewährung wieder frei sind und diese Bewährung nicht einmal mit Auflagen versehen wird. Was ist das für ein Signal in die Jugendszene?« Es müsse auch die Frage erlaubt sein, so Friedman, ob die Ermordung von Menschen erst damit beginne, »daß in Brandenburg oder anderswo Menschen totgeschlagen und angezündet werden, oder ob die Ermordung nicht schon damit beginnt, daß menschenfeindliche Parteien derartiges verharmlosen«. Immerhin seien rechtsextreme Parteien in einigen Bundesländern im Parlament vertreten, und »in Baden- Württemberg, wo in ein paar Monaten gewählt wird, haben die Republikaner bei den letzten Wahlen 9,8 Prozent erhalten«. Insofern sei Rechtsextremismus kein ostdeutsches Problem, sondern betreffe West- und Ostdeutschland. Was sich in den letzten zehn Jahren in Deutschland an rassistischer Gewalt gezeigt habe und wie sehr fremdenfeindliche und antisemitische Tendenzen salonfähig geworden seien, »habe ich mir nicht vorstellen können«. Daß sich nach wie vor dieses Themas nicht in angemessener Weise angenommen werde, beklagte auch die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke. In einer Pressemitteilung in Reaktion auf die von Innenminister Otto Schily und BKA-Vizepräsident Falk in Umlauf gebrachten Zahlen zu Opfern rechter Gewalttäter prangerte Jelpke die immer noch anzutreffende Verharmlosung an. Daß Falk und Schily weiterhin von 36 Toten redeten, sei eine »empörende Fortsetzung der jahrelangen Bagatellisierung rechter Gewalt«. Erst als die Medien vor kurzem 93 Todesopfer detailliert dokumentierten, habe es von offizieller Seite die Ankündigung gegeben, die Statistiken zu überprüfen. Und nun, so die Abgeordnete, »geht die Bagatellisierung wieder los?« Thomas Klein, Wiesbaden |