junge Welt, 27.11.2000

Interview

Profitiert deutsche Justiz von türkischer Folter?

jW sprach mit dem Bremer Rechtsanwalt Eberhard Schultz

F: Neben der Türkei steht verstärkt auch die Bundesrepublik Deutschland wegen des Vorgehens gegen politisch aktive Kurden in der Kritik. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte prüft in diesem Zusammenhang nun eine Beschwerde. Worum geht es dabei?

Der Anlaß liegt lange zurück - es geht um den sogenannten »Großen Düsseldorfer PKK-Prozeß«, der von 1989 bis 1993 dauerte und mit einer Verurteilung meines Mandanten Selahattin Erdem zu sechs Jahren endete. Ich habe Revision eingelegt und sie auf mehr als 1 000 Seiten begründet. Nach etwa einem Jahr wurde sie ohne Begründung verworfen.

Nach allen deutschen Instanzen hat sich der Gerichtshof in Strasbourg der Sache angenommen. Die Bundesregierung war zum ersten Mal gezwungen, zu den wichtigen Fragen inhaltlich Stellung zu nehmen. Zumindest zwei Punkte standen zur Diskussion. Das ist einmal die Dauer der Untersuchungshaft, und zum anderen sind es die Sondervorschriften für Verfahren nach Paragraph 129a, das heißt sogenannte Terroristen- Verfahren. Dieser Paragraph besagt unter anderem, daß Besuche nur mit Trennscheibe stattfinden dürfen und daß sogar die Verteidigerpost durch einen Richter kontrolliert wird. Das ist weltweit einmalig für einen Staat, der sich als Demokratie bezeichnet.

F: Welche Konsequenzen hätte denn eine Rüge für die Bundesrepublik?

Das Urteil gegen meinen Mandanten wäre damit nicht aufgehoben, allerdings wäre ein Wiederaufnahmeverfahren oder Schadensersatz denkbar. Was ich aber für wichtiger halte, ist die Auswirkung auf die hiesige politische Diskussion um die Sonderregelungen zu Terroristenverfahren nach dem besagten Paragraphen 129a.

F: Zugleich wird auch der Druck gegen die Türkei wegen der Verschleppung des Kurden Cevat Soysal aus Moldawien in die Türkei erhöht. Man bekommt den Eindruck, daß sich Strasbourg verstärkt gegen die Verfolgung von Kurden engagiert ...

Würde ich nicht sagen. Von der hiesigen Öffentlichkeit kaum bemerkt, sind in den letzten Jahren über hundert Verfahren von Kurden aus der Türkei in Strasbourg angenommen wurden. Die Türkei ist schon Dutzende Male wegen schwerwiegender Verletzungen verurteilt worden. Insofern ist dieses Thema gerade beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg immer sehr akut gewesen, und auch der Fall Öcalan zeigt ja, daß sofort reagiert wurde. Die Türkei wurde umgehend aufgefordert, die Anwälte unbehelligt zu ihrem Mandanten zu lassen. Ich hoffe, daß auch im Fall von Erdem die Türkei verurteilt wird, den Mandanten wegen der völkerrechtswidrigen Entführung sofort freizulassen und ihn nach Deutschland ausreisen zu lassen, wo er als hier Asylberechtigter ja hingehört. Deshalb steht auch unsere Bundesregierung in der Pflicht.

F: Die Staatsanwaltschaft in Bonn steht im Prozeß gegen Ihren Mandanten vor der Entscheidung, polizeiliche Vernehmungsprotokolle aus der Türkei zu verwenden. Beobachter des Prozesses kritisieren, daß ein Teil der Aussagen unter Folter entstanden. Kann der Druck aus Strasbourg die Staatsanwaltschaft in Bonn denn beeinflussen?

Das wage ich im Moment zu bezweifeln. Dieser Druck kommt in solchen Verfahren leider immer erst, wenn die abgeschlossen sind und wenn man diesen langen und mühevollen Gang durch die Instanzen gegangen ist. Es wäre aber ein Skandal ohnegleichen, und ich hoffe, daß sich engagierte Menschenrechtsorganisationen und andere dieser Entscheidung annehmen werden, wenn sie gegen meinen Mandaten ausfallen sollte. Gerade in diesem konkreten Fall ist durch ein gerichtsmedizinisches Attest nachweisbar, daß er gefoltert worden ist. Selbst in der Türkei sind in dem dort anhängenden Verfahren einige der Beschuldigte auf freien Fuß gesetzt worden, weil das türkische Gericht die Meinung vertrat, daß diese durch Folter erpreßten Geständnisse nicht verwertbar sind.

Interview: Harald Neuber