Süddeutsche Zeitung, 27.11.2000 Kämpfe an der Grenze zum Libanon Barak: Israel hat noch nie so viel Gewalt gegen Palästinenser eingesetzt / Trotz der Unruhen zeigen sich Konfliktparteien gesprächsbereit / Von Thorsten Schmitz Jerusalem - Die diplomatischen Bemühungen um ein Ende der Gewalt im Nahen Osten haben am Wochenende zugenommen. Während sich die Lage in den Palästinensergebieten etwas beruhigte, kam es im israelisch-libanesisch-syrischen Grenzgebiet nach einer Bombenexplosion am Sonntagmorgen zu Kämpfen, bei denen nach israelischen Angaben ein Soldat getötet wurde und zwei weitere verletzt wurden. Als Reaktion schoss die israelische Armee von Kampfhubschraubern aus auf vermutete Stellungen der Hisbollah im Süden Libanons. Es war das erste Mal, dass die israelische Armee seit ihrem Rückzug aus dem Südlibanon vor sechs Monaten dort wieder Ziele angriff. Die Bombe war im Gebiet der Schebaa-Farmen explodiert, das der Libanon als sein Territorium reklamiert, das aber nach Ansicht Israels und der Vereinten Nationen syrisches Territorium ist. Israel will sich erst im Rahmen eines Friedensvertrages mit Syrien aus dem Gebiet der Schebaa-Farmen zurückziehen. Hassan Nasrallah, das geistige Oberhaupt der Hisbollah, die sich zu dem Anschlag bekannte, hatte gesagt, der Libanon könne das Territorium nur mit Gewalt zurückerobern. Israel reichte beim UN-Sicherheitsrat Klage gegen die libanesische Regierung ein. Der Libanon kündigte an, seinerseits bei den UN gegen Israel wegen der Angriffe in der Grenzregion zu klagen. Die Vereinten Nationen zeigten sich besorgt über den Anschlag. Das Bombenattentat und die folgenden Auseinandersetzungen im Grenzgebiet seien "ein Grund zu ernster Besorgnis", sagte der UN-Beauftragte für den Libanon, Rolf Knutsson am Sonntag in Beirut. Israels Premierminister Ehud Barak gab am Sonntag in einem Radio-Interview erstmals zu, eine israelische Regierung habe "noch nie" so viel Gewalt gegen Palästinenser eingesetzt wie gerade jetzt. Dazu gehörten der Einsatz von Raketen, Panzern und das Erwidern von Schüssen "falls nötig". Barak sagte außerdem, als Ex-Generalstabschef wisse er die Krise zu handhaben. Er sei nach wie vor daran interessiert, durch diplomatische Initiativen das Ergebnis von sieben Jahren Friedensprozess zu retten. Außenminister Schlomo Ben-Ami sagte: "Das Leiden ist groß auf der palästinensischen Seite und auch auf der israelischen Seite." Es sei "lebenswichtig" für Israel, dass am Ende des Konflikts nicht nur eine Waffenruhe herrsche, sondern Frieden. Ben-Ami verschob eine für den heutigen Montag geplante Reise zu Russlands Präsident Wladimir Putin nach Moskau, um bei der Abstimmung über vorgezogene Neuwahlen in Israel am Dienstag anwesend zu sein. Der israelische Armeerundfunk meldete, dass Tourismus-Minister Amnon Lipkin-Schachak und Israels Geheimdienstchef am Samstagabend mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat zu geheimen Gesprächen zusammengetroffen seien. Ein Sprecher Arafats bezeichnete das Treffen als "sehr wichtig". Am Sonntag führte der Sicherheitsberater Baraks, Danny Jatom, ein persönliches Gespräch mit Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak in Kairo. Dabei soll Jatom Mubarak eine persönliche Botschaft Baraks überbracht haben. Mubarak hatte vergangene Woche aus Protest gegen die Gewalt den ägyptischen Botschafter aus Tel Aviv abgezogen. Der russische Außenminister Igor Iwanow schlug die Entsendung einer "internationalen Friedenstruppe" in die Palästinensergebiete vor. Gleichzeitig dementierte Iwanow Meldungen, wonach Putin Arafat bei seinem Besuch in Moskau am Freitag einen neuen Nahost-Friedensplan präsentiert habe. Während einer Visite in Deutschland erklärte Iwanow, Russland sei lediglich darum bemüht, die Unruhen beizulegen und dafür die EU, die USA und die UN für eine konzertierte Zusammenarbeit zu gewinnen. Die Zahl der Toten seit stieg an diesem Wochenende auf mindestens 274, die meisten von ihnen waren Palästinenser. |