Frankfurter Rundschau, 28.11.2000 Haftbefehle im Fall des kleinen Joseph aufgehoben Staatsanwalt: Hauptbelastungszeuge eher unglaubwürdig Von Bernhard Honnigfort und Richard Meng Der Fall des in einem Sebnitzer Freibad ums Leben gekommenen sechsjährigen Joseph Abdulla hat am Montag eine überraschende Wende genommen. Die Dresdner Staatsanwaltschaft entließ drei des Mordes Verdächtigte aus der Untersuchungshaft. DRESDEN, 27. November. Es bestehe kein dringender Tatverdacht mehr gegen die Frau und die beiden Männer, sagte Oberstaatsanwalt Hans Strobl am Montag in Dresden. Einer der Beschuldigten habe ein Alibi, das "nicht erschütterbar" sei. Strobl sagte, ein Verdacht bestehe weiterhin, er rechtfertige aber keine Haft. Zugleich ist nach Ansicht der Ermittler ein Hauptbelastungszeuge "eher unglaubwürdig". Der Zeuge hatte in einer richterlichen Vernehmung die drei Verdächtigen beschuldigt, Joseph Abdulla am 13. Juni 1997 im Sebnitzer Schwimmbad gequält und ertränkt zu haben. Unter anderem diese Aussage hatte zur Verhaftung der drei Verdächtigen geführt. Die Ermittlungen der "Sonderkommission Schwimmbad" der Dresdner Polizei hätten aber ergeben, dass die richterliche Aussage des Zeugen in wesentlichen Punkten erschüttert sei. Er habe auf Fotos, die ihm vorgelegt wurden, zwei der drei Beschuldigten gar nicht erkannt, sagte der Oberstaatsanwalt. Der Zeuge habe gesagt, ihm seien die Namen von den Eltern des toten Kindes "in den Mund gelegt worden". Was im Freibad wirklich geschah, bleibe weiter unklar, so Strobl. Er betonte: "Wir ermitteln in alle Richtungen." Die Ermittler gehen auch Hinweisen nach, wonach Zeugen Geld von den Eltern bekommen haben sollen. Ein Zeuge sprach von "zehn bis fünfzig Mark". Es gebe aber "keinerlei Anhaltspunkte, dass Aussagen gekauft wurden", so Strobl. Die Eltern, die mit eigenen Ermittlungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gesorgt hatten, bestritten, Geld für Aussagen gezahlt zu haben. Sachsens Justizminister Manfred Kolbe (CDU) griff die Bild-Zeitung wegen ihrer Berichterstattung über den Todesfall scharf an. Bild als auflagenstärkste deutsche Zeitung habe eine Stadt vorverurteilt. Kolbe empfahl den Sebnitzern, Überlegungen über Schadenersatzforderungen anzustellen. Das Blatt hatte unter dem Titel "Neonazis ertränken Kind" als erste Zeitung über den Fall berichtet. Auch den designierten niedersächsischen Justizminister Christian Pfeiffer kritisierte er. Man müsse prüfen, ob der Vorwurf der Unprofessionalität, den Pfeiffer im Zusammenhang mit den Ermittlungen als Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen erhoben hatte, nicht an ihn zurückgegeben werden könne. Die SPD-Spitze in Berlin solidarisierte sich mit der Familie Josephs - unabhängig davon, welche Ergebnisse die Ermittlungen haben werden. Wegen des massiven Drucks, den Neonazis auf die Familie auszuüben versuchten, sei die Solidarisierung nötig, sagte SPD-Sprecher Michael Donnermeyer. Kanzler Gerhard Schröder traf als SPD-Chef Josephs Mutter, die für die SPD im Stadtrat von Sebnitz sitzt, am Montag in Berlin. |