junge Welt, 28.11.2000 Krimi mit Weißen Kriegern? Sebnitz: Zu möglichen Hintergründen einer möglichen Straftat Die drei Tatverdächtigen im Fall des vor drei Jahren in Sebnitz ums Leben gekommenen Joseph Abdulla sind wieder auf freiem Fuß«, meldete die Nachrichtenagentur ddp am Montag um 11.39 Uhr. Die Haftbefehle der in der vergangenen Woche Festgenommenen wurden bereits am Sonntag abend auf Antrag der Dresdner Staatsanwaltschaft aufgehoben und die sofortige Freilassung der drei angeordnet. »Der dringende Tatverdacht gegen die drei in der vergangenen Woche verhafteten Beschuldigten - zwei Männer und eine Frau - könne nach den auch am Wochenende auf Hochtouren geführten Ermittlungen nicht aufrechterhalten werden.« Auf in den letzten Tagen publik gewordene mögliche Verbindungen der drei zu rechten Gruppen habe die Staatsanwaltschaft keine Hinweise, hieß es weiter. Renate Kaltenberg-Abdulla, die Mutter des im Juni 1997 im Sebnitzer Schwimmbad unter bisher ungeklärten Umständen gestorbenen Sechsjährigen, war - nachdem die zuständige Polizeidirektion Pirna ihre Ermittlungen zur »Leichensache Joseph Abdulla, Nationalität: Iraker« eingestellt hatte - von sich aus auf die Suche nach Zeugen des »Badeunfalls« gegangen und dabei nach eigenem Bekunden auf Hinweise gestoßen, die auf eine vorsätzliche Tötung ihres Sohnes durch ausländerfeindliche rechte Jugendliche hinwiesen. Dafür ist die Sächsische Schweiz - die Kleinstadt Sebnitz gehört zu deren Landkreis - als Hochburg neonazistischer Umtriebe längst aktenkundig. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen wird darauf verwiesen, daß es der NPD - mit rund 1 000 Mitgliedern einer der stärksten Landesverbände überhaupt - bei den letzten Kommunalwahlen im Juni 1999 gelang, in verschiedene Stadt- bzw. Gemeinderäten einzuziehen, so auch in Sebnitz. Mit 6,5 Prozent der Stimmen wurde hier der Arzt Johannes Müller in den Stadtrat gewählt. Zugleich verweist das Landesamt für Verfassungsschutz auf »enge Kontakte« der Partei »zur rechtsextremistischen Kameradschaftsszene, da sie nach wie vor an der Gewinnung Jugendlicher für ihre Partei interessiert ist«. In diesem Zusammenhang wird insbesondere die Gruppierung »Skinheads Sächsische Schweiz« (SSS) genannt, deren Mitglieder »regelmäßig zu Ordnerdiensten bei NPD- Veranstaltungen der Region eingesetzt werden«. »Für diese Gruppe«, so heißt es weiter, »werden vor allem Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, die mit rechtsextremistischen Anschauungen sympathisieren, rekrutiert.« Neben den SSS erwähnt der Bericht zudem explizit auch die ebenfalls der NPD nahestehende Kameradschaft »White Warrior Crew Sebnitz« - eine Truppe »weißer Krieger«. Erst im Sommer dieses Jahres wurde in der Region südöstlich der Landeshauptstadt Dresden bei einer Razzia der Polizei in einer Garage ein riesiges Waffenlager ausgehoben. »Wir haben es hier mit einer militär-nationalistischen Vereinigung zu tun«, charakterisierte Sachsens Verfassungsschutzchef Reinhard Booß »Sachsens größte eonazigruppe« (Frankfurter Rundschau vom 30. Juni 2000). Pikant an dieser Razzia: Wie das Landeskriminalamt bestätigte, fand dieser Einsatz fast ohne Beamte aus der Region statt. Als Grund dafür verwiesen Dresdner Antifa- Gruppen auf »mutmaßliche verwandtschaftliche Beziehungen von Beschuldigten zu Mitarbeitern von Bundesgrenzschutz, Justiz und Polizei«. Zurück zu den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes, der die Sächsische Schweiz als absolute Hochburg des Rechtsextremismus im Freistaat bewertet und dabei u.a. auf den Geschäftsführer des NPD-Kreisverbandes Sächsische Schweiz, Uwe Leichsenring, verweist, der zugleich einer von zwei NPD-Stadträten in Königstein ist und einer der Drahtzieher bei der SSS-Gründung gewesen sein soll. In einem von ihm herausgegebenen Infoblatt namens Klartext fand der Verfassungsschutz bezeichnende Aussagen gegen die »sogenannte multikulturelle Gesellschaft« als »ein Mittel, um einen Staat und sein Staatsvolk zugrunde zu richten«. Den wüsten NPD-Attacken gegen die »menschenfeindliche Überfremdungspolitik des BRD-Regimes« und die »auf die Vernichtung unseres Volkes ausgerichtete Ausländer- und Asylpolitik« (so die nationaldemokratische Zeitung Deutsche Stimme 6/98) folgt Leichsenrings Kampfansage in der Sächsischen Zeitung, die ihn am 2.September 1998 zitierte: »Wir wollen eine andere Gesellschaftsordnung ... Es geht auch darum, Strukturen aufzubauen, um bereit zu sein, wenn es mal zum Aufstand Ost kommt.« Inwieweit die Skinhead-Formation SSS oder gar die »Weißen Krieger« von Sebnitz Teil dieser Strukturen sind, sollte die im Todesfall von Joseph Abdulla ermittelnden Behörden schon interessieren. Denn daß die in dieser Angelegenheit bisher befaßten Untersuchungsorgane nicht eben gründlich gearbeitet hatten, scheint offenkundig. Wozu sonst wurde - so meldete es ddp am Montag um 14.39 Uhr - nun beim Dresdner Polizeipräsidium eine 30köpfige Sonderermittlungsgruppe »Badeunfall« gebildet? Peter Rau |