Frankfurter Rundschau, 29.11.2000 Geheimdienstchef gegen Hinrichtung Öcalans Türkei ermittelt gegen Kurden-Partei, zugleich gibt es Stimmen für kurdische TV-Sendungen Der Parteitag der pro-kurdischen Demokratie-Partei des Volkes (Hadep), der am vergangenen Wochenende in Ankara stattfand, hat wahrscheinlich ein juristisches Nachspiel. Nach Zeitungsberichten lehnt der türkische Geheimdienstchef Senkal Atasagün die Hinrichtung des PKK-Führers Abdullah Öcalan ab und befürwortet kurdischsprachige TV-Programme. ATHEN/ANKARA, 28. November (öhl/rtr). In der Woche vor dem Parteitag hatte die Polizei rund 100 Hadep-Funktionäre festgenommen. Zahlreiche Delegierte aus den überwiegend kurdisch besiedelten Südostprovinzen wurden außerdem von Straßensperren der Polizei an der Fahrt nach Ankara gehindert. Gegen die Hadep ist bereits ein Verbotsverfahren anhängig. Ihr werden Verbindungen zur illegalen PKK vorgeworfen. Der Staatsanwalt beim Staatssicherheitsgericht Ankara ermittelt jetzt gegen die Partei, weil während des Kongresses angeblich Sprechchöre für den inhaftierten und zum Tode verurteilten PKK-Chef Abdullah Öcalan ertönten. Unterdessen hat sich der Chef des türkischen Geheimdienstes MIT, dessen Agenten Öcalan Anfang 1999 in Kenia aufspürten und von dort entführten, gegen eine Hinrichtung des PKK-Chefs ausgesprochen. Die Istanbuler Zeitung Hürriyet zitiert den MIT-Leiter Senkal Atasagün mit der Ansicht, eine Hinrichtung Öcalans sei "nicht im Interesse der Türkei". Seine Exekution würde die Hoffnungen der Türkei auf einen EU-Beitritt zunichte machen. Während eines Hintergrundgesprächs mit ausgewählten Journalisten soll sich Atasagün auch dafür ausgesprochen haben, das kurdische Sprachverbot in den Massenmedien aufzuheben und in der Südosttürkei ein staatlich kontrolliertes kurdischsprachiges Fernsehprogramm auszustrahlen. Der Geheimdienst sei von der Regierung um eine Stellungnahme gebeten worden und habe sich in diesem Sinne geäußert, sagte der MIT-Chef. Die Zeitung Milliyet zitierte Atasagün mit der Aussage, das Militär teile die Meinung des MIT über ein kurdisches Fernsehen. Bislang führte jeder Schritt zu einer Aufhebung des Verbots der kurdischen Sprache und zu Milde für Öcalan zu starken Spannungen in der Koalition. Der wichtigste Koalitionspartner von Ministerpräsident Bülent Ecevit, die rechtsextremistische MHP, lehnt solche Vorstöße ab. So verwarf auch Verteidigungsminister Sabahattin Cakmakoglu, der der MHP angehört, die Äußerungen des Geheimdienstchefs als "persönliche Ansichten". Die Schonung Öcalans und die Zulassung kurdischer Fernsehprogramme sind Schlüsselvoraussetzungen für Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union (EU). Derzeit verhandelt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über eine Klage von Öcalans Anwälten gegen das Todesurteil. Die Türkei hat zugestimmt, bis zu einer Entscheidung das Todesurteil nicht zu vollstrecken. |