Tagesanzeiger (CH), 29.11.2000 Anklage gegen kurdische Geiselnehmer Die Besetzung des griechischen Konsulats in Zürich hat ein juristisches Nachspiel. Nach fast zweijährigen Ermittlungen wird nächsten Monat Anklage erhoben. Von Sascha Buchbinder Am 16. Februar 1999 waren in ganz Westeuropa griechische Vertretungen von Kurden gestürmt worden. Grund war die Festnahme Abdullah Öcalans in Kenya. Die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) machte die griechische Regierung dafür verantwortlich. Um 4 Uhr am Morgen brachen deshalb Kurden auch im Zürcher Seefeld die Tür zum griechischen Konsulat auf. Sie besetzten das Gebäude, forderten Öcalans Freilassung, drohten mit Selbstverbrennung und hinderten den herzkranken Hausbesitzer am Verlassen seiner Wohnung. Nachdem um 7 Uhr Willy Schaffner, Detektiv der Stadtpolizei, das Gebäude betreten hatte, wurde auch er von den Besetzern festgehalten. Erst nach anderthalb Tagen gaben die Besetzer auf. Am 17. Februar, kurz vor 18 Uhr, liessen sie ihre "Gäste" frei und verliessen das Gebäude. Die Polizei nahm damals die Personalien von 134 Personen auf. 7 statt 134 Angeklagte "Wenn die Polizei eure Personalien hat, kommt ihr ins Gefängnis", hatte eine Demonstrantin des "schwarzen Blocks", die kurdischen Besetzer des griechischen Konsulats gewarnt, als diese einwilligten, sich vor ihrem Abzug kontrollieren zu lassen. Wie sich nun zeigt, sollte die Demonstrantin Recht behalten. Noch dieses Jahr wird das Strafverfahren abgeschlossen und Anklage erhoben. Diesen Fahrplan gab der zuständige Bezirksanwalt Edwin Lüscher auf Anfrage bekannt. Anders als bei der Besetzung in Bern hatten die Behörden im Zürcher Fall von Anfang an erklärt, dass sie die Besetzer nicht straflos laufen lassen würden. Sie stuften den Vorfall als Geiselnahme ein, die nicht ungesühnt bleiben dürfe. Der Bezirksanwalt stand deshalb vor der Aufgabe, die individuelle Beteiligung der 134 Kontrollierten abzuklären. Dass die Ermittlungen einige Zeit in Anspruch nehmen würden, war abzusehen. Die Monate verstrichen, das Verfahren zog sich in die Länge, und der Kreis der Personen, gegen die überhaupt noch ermittelt wurde, verengte sich immer mehr. Die Beschuldigten standen zwar zu ihrer politisch motivierten Tat, machten aber von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch und schwiegen beharrlich. Übrig blieben Verfahren gegen sieben Besetzer. 100 Bänder abgehörte Gespräche Beschuldigte haben das Recht, mit Aussagen, die sie belasten, direkt konfrontiert zu werden. In diesem Fall aber geriet jede Konfrontationseinvernahme zur grösseren Sitzung. Nur um sie anzusetzen, waren Terminverhandlungen mit bis zu acht Anwälten nötig. Doch nun sieht Lüscher Licht am Ende des Tunnels. Im Verlauf der nächsten zwei Wochen werde er die Schlusseinvernahmen beendet haben und noch vor Ende Dezember seine Anklageschrift dem Gericht zustellen. Noch ist nicht entschieden, ob die Hauptanklagen auf Geiselnahme oder Freiheitsberaubung lauten werden. Derzeit tendiert der Bezirksanwalt eher auf die mildere Anklage wegen Freiheitsberaubung. Während für Geiselnahme in schweren Fällen selbst eine lebenslängliche Strafe möglich ist, droht das Gesetz bei Freiheitsberaubung Zuchthaus bis zu fünf Jahren an. Einige der Beschuldigten werden sich laut Lüscher auch nur wegen Hausfriedensbruch verantworten müssen. Wichtig ist für den Bezirksanwalt, dass es ihm gelungen sei, jedem Beschuldigten seinen individuellen Beitrag minuziös nachzuweisen. Hilfreich seien dabei die über 100 Bänder mit abgehorchten Telefongesprächen gewesen. Mit der Gerichtsverhandlung rechnet Lüscher nicht vor Februar oder März nächsten Jahres. |