Neue Zürcher Zeitung (CH), 29.11.2000 Vorgezogene Neuwahlen in Israel Einwilligung von Ministerpräsident Barak gsz. Jerusalem, 28. November In Israel ist in der Knesset am Dienstagabend ein Gesetz über die Vorziehung der Parlaments- und Ministerpräsidentenwahlen zur ersten Lesung angenommen worden. 79 Abgeordnete in der 120 Sitze umfassenden Knesset stimmten zu. Die Debatte hatte am späten Nachmittag begonnen, 80 Abgeordnete hatten sich in die Rednerliste eingetragen. Bis zuletzt hatte Ministerpräsident Barak gehofft, dass sich zumindest ein Teil der orthodoxen und der arabischen Parteien für das Weiterbestehen seiner Regierung aussprechen würde. Als ihm aber bewusst wurde, dass sich auf alle Fälle eine Mehrheit der Abgeordneten für die Vorverlegung der Wahlen aussprechen würde, beschloss er, gute Mine zum bösen Spiel zu machenund sich dem Ruf nach vorgezogenen Wahlen anzuschliessen. Damit war der Ausgang vorweggenommen. Die zweite und dritte Lesung der Vorlage zur Ausrufung von Neuwahlen werden kommende Woche erfolgen. Die Wahlen werden sodann nach Absprache zwischen der Regierung und der Opposition im kommenden Frühling oder Frühsommer - man spricht vom Monat Mai als mögliches Datum - stattfinden. Die bis zu den Wahlen verbleibenden Monate lassen Barak die Gelegenheit zu einem letzten Versuch, mit den Palästinensern eine Einigung zu erzielen. Ein entsprechendes Abkommen wäre fast die einzige Möglichkeit für den Regierungschef, eine drohende Wahlniederlage abzuwenden. Jüngste Meinungsumfragen sagten Barak einen schmerzlichen Misserfolg voraus und der Arbeitspartei eine Schrumpfung um die Hälfte ihrer jetzigen Stärke. Viele Bürger des Landes wünschtendie Bildung einer Regierung der nationalen Einheit oder einer Notstandsregierung. Der Abgeordnete Tommy Lapid, Parteiführer von Shinui, einer Partei im Zentrum, die sich sonst den Anliegen säkularer Bürger widmet, versuchte während der vergangenen Tage eine Annäherung zwischen Barak und dem Führer der Opposition, Ariel Sharon, herbeizuführen. Auf ein von Lapid beiden Seiten unterbreitetes Grundsatzpapier, das als Basis für eine gemeinsame Regierung dienen könnte, antwortete Barak,dass er nicht bereit sei, den in Camp David eingeschlagenen Weg zu verlassen. Der Parteiführerder linken Meretz-Partei erklärte, die etwaige Zuziehung Sharons in die Regierung würde ein Unglück für Israel darstellen. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass der «Abenteurer von Libanon»die Geschicke des Landes leite. Vor dem Obersten Gericht ist noch ein Appell hängig, mit demein Beschluss des Parlamentspräsidenten Avraham Burg angefochten wird. Burg hatte entschieden, dass für die Annahme der ersten Lesung in der Knesset ein absolutes Mehr von 61 Stimmen benötigt wird. Das Gesetz sieht zwar das absolute Mehr für die dritte Lesung vor, es ist aber unklar, ob die erste und zweite Lesung auch 61 Befürworter benötigen. |