junge Welt, 30.11.2000

Interview
Warum Solidarität mit Rainer Dittrich?

jW sprach mit Claudia Steinert

In der Justizvollzugsanstalt Lübeck kämpft Rainer Dittrich seit Jahren gegen Knastwillkür. Claudia Steinert gehört zur »gruppe zentralkomitee« aus Kaiserslautern, die am kommenden Sonnabend zwei Solidaritätskundgebungen für Dittrich in Lübeck organisiert

F: Rainer Dittrich wird in Presseerklärungen als kommunistischer Gefangener bezeichnet, ist aber nicht wegen eines politischen Delikts verurteilt worden. Was bedeutet das?

Auch einem Kommunisten kann es passieren, daß er hierzulande wegen eines auf den ersten Blick »nichtpolitischen« Delikts verurteilt wird. Rainer kommt aus einer kommunistischen Familie in der DDR. Sein Vater hat für die sowjetischen Behörden als verantwortlicher Sprengmeister in einer Wismut-Zeche gearbeitet. Sein Onkel war Offizier beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Auch Rainer entschied sich für die Arbeit fürs MfS und ging ins westliche Ausland. 1987 wurde er bei einem BRD-Aufenthalt verhaftet und wegen Mordes zu lebenslänglich verurteilt. Wobei das Urteil selbst und der politische Grund für dieses Urteil zwei Sachen sind. Rainer kann aus verständlichen Gründen zu seiner konkreten Arbeit in dieser Zeit nichts sagen. Er verweigert bis zum heutigen Tag jede Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden.

F: Rainer Dittrich befindet sich als einziger deutscher Gefangener seit dem 30. Oktober im Solidaritätshungerstreik mit den türkischen Gefangenen. Warum hat er sich dazu entschlossen?

Die Sondertrakte, die gegen die türkischen revolutionären Gefangenen errichtet worden sind und weswegen sie u. a. auch in den Hungerstreik traten, wurden in der BRD bereits in den 70er Jahren entwickelt und gegen die politischen Gefangenen hier angewendet. Diese Haftbedingungen, die jetzt in der Türkei eingeführt werden sollen, sind ein »Exportgut Marke BRD«, das auch schon in andere Länder exportiert wurde, z. B. nach Spanien. Es geht darum, politische Gefangene zu isolieren, zu brechen oder zu vernichten. Diese globalisierende Vernichtungsstrategie mittels Haft hat Rainer erkannt. Er ist mit den kurdischen Gefangenen Mehmet Karsli in eine Hungerstreikkette gegangen. Am 12. November hat Karsli den Streik abgebrochen. Für Rainer selbst gelten unverändert die gemeinsamen abgegebenen Erklärungen. Er hat von einem türkischen Gefangenen, der ebenfalls im Hungerstreik ist, einen Brief erhalten. Das zeigt, daß Rainers Solidaritätsaktion dort angekommen ist.

F: Wie sind die Haftbedingungen und der gesundheitliche Zustand von Dittrich?

Rainer befindet sich seit 1987 in der JVA Lübeck in Isolationshaft. Von 1995 bis 1999 war ihm zeitweiliger Kontakt zu anderen Mitgefangenen möglich. Seit dem Herbst letzten Jahres unterliegt er wieder vollständig den Isolationshaftbedingungen.

13 Jahre Sonderhaftbedingungen gehen an niemandem spurlos vorbei. Im August 1999 wurde Rainer nach jahrelangen Verzögerungen endlich von Ärzten seines Vertrauens in der Lübecker Uniklinik an der Wirbelsäule operiert. Schon drei Tage später wurde er in den Knast zurückverlegt. Gegenüber den Uniärzten wurde die Zusicherung gemacht, Rainer nach ihren Anordnungen weiter zu behandeln. Was jedoch geschah, waren keine Reha- Maßnahmen, sondern weitere Angriffe auf seine Gesundheit. So wurden ihm heiße Wannenbäder und Fango-Behandlungen verweigert. Außerdem wurde er einen Monat lang in eine ungeheizte Krankenzelle eingesperrt, was zu einem völligen Rückfall führte. Ende April wurden ihm dann auch noch die notwendigen Medikamente verweigert. Außerdem hat Rainer große Probleme mit seinem linken Bein. Es ist zu befürchten, daß es sich um eine Venenentzündung handelt, die lebensgefährlich werden kann, wenn Blutgerinnsel zu wandern beginnen. Rainer wird eine Untersuchung seines Beines durch seine Vertrauensärzte verweigert. Er hat am 30. Oktober Strafanzeige wegen »unterlassener Hilfeleistung« gegen den Gefängnisarzt gestellt, weil dieser ihm die Physio- und Schmerztherapie verweigert.

F: Wie kann man Rainer Dittrich unterstützen?

Besonders schlimm ist für ihn, daß er nicht mehr lange an der Schreibmaschine sitzen kann - eine erhebliche Einschränkung seiner Kommunikation nach draußen. Wir haben dieses Jahr ein Spendenkonto eingerichtet. Das Geld soll u.a. dazu dienen, ihm einen Laptop zu finanzieren, damit er im Liegen schreiben kann.

Am Samstag wird es zwei Solidaritätskundgebungen geben, die erste um 11 Uhr am Haupttor der JVA Lübeck, Marliring 41, und die zweite um 14 Uhr in der Innenstadt, am Schrangen vor dem Kaufhaus Karstadt.