Berliner Zeitung, 1.12.2000 System der Irak-Sanktionen wird immer löchriger Nach einem Embargo-Ende wird das Volk jedoch noch Jahrzehnte für Reparationen zahlen müssen Roland Heine BERLIN, 30. November. Iraks Vize-Premier Tarik Asis gab sich prinzipiell. Nach zweitägigen Gesprächen in Moskau erklärte Asis laut Interfax am Donnerstag, Irak lehne weiterhin eine Rückkehr der UN-Abrüstungskontrolleure in das Land strikt ab. Asis hatte zuvor lange mit Russlands Außenminister Igor Iwanow verhandelt. Dieser drängte den Irak, die Abrüstungsmission wieder einreisen zu lassen, um dafür im UN-Sicherheitsrat zu einem Zeitplan für die Aufhebung der UN-Sanktionen zu kommen. Auch wenn das Asis-Statement klingt, als sei die Situation um den Irak weiter hoffnungslos fest gefahren - das Gegenteil ist der Fall. Zehn Jahre nachdem der UN-Sicherheitsrat das Land wegen des Überfalls auf Kuwait mit Wirtschafts- und anderen Sanktionen belegt hat, bekommt das Embargoregime immer größere Löcher. Im Verlauf der letzten Monate durchbrachen gleich mehrere Länder, darunter Frankreich, demonstrativ das Luftfahrtembargo. Mit Venezuelas Präsidenten Chavez reiste der erste Staatschef seit 1991 nach Bagdad, erstmals nahm Irak wieder am Gipfel der Arabischen Liga und am Treffen der Organisation der islamischen Konferenz teil. Der Papst erklärte, seine 1999 abgesetzte Irak-Visite unbedingt nachholen zu wollen. USA sträuben sich Parallel dazu haben sich Wirtschaftkreise in zahlreichen Staaten für die Wiederherstellung normaler Handelskontakte ausgesprochen. Das gilt für Russland, das endlich frühere Investitionen im Ölsektor Iraks nutzen will und zudem die irakischen Schulden aus UdSSR-Zeiten eintreiben möchte. Unternehmen aus Frankreich, China und anderen Ländern wollen gleichfalls eine baldige Normalisierung der Geschäftsbeziehungen mit Irak, dessen Wirtschaft nach zehn Jahren Embargo dringend sanierungsbedürftig und damit auf Technik-Importe angewiesen ist. Im Sommer weilte auch eine große deutsche Wirtschaftsdelegation vor Ort. Im UN-Sicherheitsrat, der die Sanktionen aufheben müsste, sträuben sich im Grunde nur noch zwei Staaten gegen diesen Schritt: die USA und ihr Partner Großbritannien. Sie erklären, erst müsse der irakische Diktator Saddam Hussein die 1991 verfügten Abrüstungsauflagen erfüllen, dann könne das Embargo beendet werden. Alle Verweise aus Moskau, Paris oder Peking darauf, dass die geforderte Abrüstung soweit überhaupt kontrollierbar bereits vollzogen sei, wurden in Washington abgetan. Gleiches gilt für alle Berichte über die Verelendung des irakischen Volkes, deren Ursache nicht nur, aber doch wesentlich im anhaltenden Embargo liegt. Doch auch in den USA deutete sich während des Sommers ein Stimmungswandel an: Mehr als 70 Mitglieder des Kongresses verlangten von der Regierung die Aufgabe ihres Kurses. Die Sanktionen, so hieß es, hätten auch nach Jahren nicht zum Sturz Saddam Husseins geführt, sondern nur die Lage des Volkes dramatisch verschlechtert. Undurchsichtige Kommission Die Sanktionen sind jedoch nur ein Teil des Problems, der zweite Teil ist die kaum bekannte UN-Entschädigungskommission (UNCC), Die 1991 gegründete UNCC soll gegenüber Bagdad die Ansprüche derjenigen durchsetzen, die durch die irakische Invasion Kuwaits Schaden erlitten haben. Die entsprechenden Mittel werden vom Erlös der limitierten irakischen Erdölverkäufe abgezweigt, bis dato 30 Prozent, künftig 25 Prozent. Seit Ende 1996 erhielt die von den USA dominierte UNCC auf diesem Wege rund 11 Milliarden Dollar, die angemeldeten Forderungen sollen sich aber auf insgesamt 320 Milliarden Dollar belaufen. Selbst wenn davon nur die Hälfte bewilligt werden sollte - dieser Anteil liegt in Anbetracht der bisherigen UNCC-Praxis im Bereich des Möglichen - hätte das irakische Volk noch in Jahrzehnten zu zahlen. Angesichts dieser Dimensionen und einer bislang eher undurchsichtigen Arbeitsweise der UNCC fordern Kritiker, das ganze Verfahren prinzipiell zu überdenken. |