taz 2.12.2000

Geheimdienst will kurdisches TV

Wenn die Türkei Beitrittskandidat der EU werden will, muss sie zuvor ein kurdisches Fernsehprogramm einrichten. Für einen solchen Kanal ist nun auch Ankaras Geheimdienstchef - und löst so hektische Reaktionen der Nationalisten aus

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Die Einladung war unverfänglich und schien zunächst nicht mehr als ein PR-Termin, bei dem der türkische Geheimdienst MIT seine neue Offenheit demonstrieren wollte. Doch der vermeintliche Smalltalk mit einer handvoll ausgesuchter Journalisten geriet zu einer kleinen Sensation. MIT-Chef Senkal Atasagun und sein Stellvertreter Mikdat Alpay bestätigten nicht nur das Gerücht, dass der Geheimdienst im letzten Jahr von einer Hinrichtung Abdullah Öcalans abgeraten habe. Die beiden gingen noch einen Schritt weiter und erklärten, dass "im Interesse der Türkei" die Todesstrafe schnellstmöglich abgeschafft gehört.

Politisch noch brisanter war das Statement des Duos zu der Frage eines kurdischen Fernsehens. "Warum", so Atasagun, "sollen wir die vielen Bürger, die Kurdisch, aber nicht Türkisch sprechen, dem PKK-Fernsehen Med-TV überlassen?" Die Antwort: "Natürlich soll der Staat selbst in kurdischer Sprache senden."

Die Nachricht war kaum gedruckt, als Vertreter der ultranationalistischen MHP losgifteten. "Wer hat diesen Bürokraten überhaupt erlaubt, öffentlich den Mund aufzumachen", so Verteidigungsminister Cakmakoglu.

Die Empörung ist verständlich, denn aus Sicht der MHP ist ihnen der Geheimdienst, den die Nationalisten zu ihren Verbündeten zählen, in den Rücken gefallen. Seit die EU-Kommission Anfang November in ihrem Dokument zu einer Beitrittspartnerschaft mit der Türkei ein kurdisches Fernsehen forderte, wird in Ankara heftig gerade über diese Frage diskutiert. Vor allem der für die Beziehungen zur EU zuständige Vizeministerpräsident Yilmaz machte sich öffentlich für eine Einführung eines kurdischen Kanals stark. Um die rechten Ultras von der MHP, mit denen Yilmaz immerhin in einer Regierung sitzt, zu überzeugen, verwies er darauf, dass der Staat durch ein Verbot gerade das Gegenteil von dem erreicht, was er eigentlich will. "Wir überlassen der PKK und anderen das Feld."

Tatsächlich sollen in der Türkei über Satellit mittlerweile sechs kurdische Sender zu empfangen sein. Neben dem PKK-Hauptkanal Med-TV gibt es noch einen Kulturkanal, der ebenfalls der PKK zugerechnet wird, einen unpolitischen kurdischen Spielfilmkanal, ein kurdisches Fernsehen aus dem Iran und zwei kurdische Sender aus dem Nordirak.

Trotz dieser Sendervielfalt ist die MHP nicht bereit, einer Gesetzesänderung zuzustimmen, um kurdischen Sendern in der Türkei einen legalen Status zu geben. Aus Sicht der Grauen Wölfe wäre ein offizielles kurdisches Fernsehen nach wie vor der Anfang vom Ende der türkischen Republik. "Wir wollen ein Land, ein Volk, eine Sprache", verkündete Parteichef Bahceli, "kurdisches Fernsehen ist eine Einladung an die Separatisten."

Regierungschef Ecevit hielt sich in der TV-Debatte bislang zurück. Erst auf die erboste Frage der MHP, wer dem Geheimdienstchef eigentlich die Erlaubnis zu seiner Stellungnahme gegeben habe, kam er etwas aus der Deckung: "Er hat mich voher gefragt", beschied er die MHP. Die meisten Kommentatoren gehen nun davon aus, dass Ecevit den Geheimdienst gezielt vorgeschickt hat, um die MHP in die Ecke zu drücken.