junge Welt, 02.12.2000 Weizen gegen Erdöllieferung Indien und Irak vereinbarten langfristiges Geschäft. Warten auf Reaktion Washingtons Während des an sich schon bemerkenswerten Indien-Besuchs des irakischen Vizepräsidenten Taha Yassin Ramadhan haben Neu-Delhi und Bagdad jetzt ein »alle Vorstellungen sprengendes Geschäft« vereinbart. Es soll nicht im Rahmen des von der UNO erlaubten und kontrollierten Programms »Nahrungsmittel für Erdöl« abgewickelt werden. Irak will für gerademal »ein paar Dollar pro Barrel« - so die Zeitung Asian Age - Erdöl an Indien verkaufen und im direkten Gegenzug dafür Weizen aus indischer Produktion importieren. Über die Einzelheiten des Deals wahren beide Seiten noch Stillschweigen, weil zunächst die UNO-Kommission für Sanktionen gegen Irak die Angelegenheit prüfen und letztlich entscheiden muß. Trotzdem kursieren bereits unbestätigte Informationen: Irak wäre bereit, das Abkommen etwa zwei Jahrzehnte laufen zu lassen. Von einer Million Tonnen Öl pro Jahr ist die Rede und von bereits bestellten 350 000 Tonnen Weizen. Für den Transport von Öl und Weizen wäre Indien verantwortlich. Eingefädelt hat das Geschäft der indische Staatssekretär im Außenministerium Ajit Panja bei seinem Irak-Besuch im September. Neu-Delhi gehört zu den Staaten, die für ein Ende der strengen UNO-Sanktionen gegen Irak eintreten. Außenminister Jaswant Singh erläuterte das dieser Tage sogar ausführlich vor dem Parlament. In seinem Gespräch mit Ramadhan brachte Singh die Anteilnahme seines Landes am Leiden des irakischen Volkes zum Ausdruck und beriet Maßnahmen zur Wiederbelebung des bilateralen Handels und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Mit dem gleichen Ziel tagte während des Staatsbesuchs auch die Gemeinsame Wirtschaftskommission. Im Beisein von Premier Atal Bihari Vajpayee wurde eine Reihe von Vereinbarungen auf technischem, wissenschaftlichem, kulturellem Gebiet, bei Handel und industrieller Kooperation sowie in Bildung und Erziehung getroffen. Indien gibt zum Beispiel mehr irakischen Spezialisten eine Chance zur Fortbildung, während Irak indischen Firmen den Zugang zu seinen Freihandelszonen erleichtert. Herausragend ein Abkommen, das Indien die Erdölerkundung auf irakischem Territorium ermöglicht. Ramadhan resümierte seinen Besuch vor der Presse nicht nur als kommerzielles Unternehmen, sondern sprach sogar vom Beginn einer »strategischen Beziehung« zwischen beiden Ländern. »Ich schaue in die Zukunft und möchte, daß Indien eine Rolle spielt, die seiner Größe angemessen ist«, umschmeichelte er die Gastgeber. Sollte der Tausch »Weizen gegen Erdöl« genehmigt werden, dann sind beide Seiten nahezu aus dem Schneider. Für Bagdad würde sich ein neuer Kanal öffnen, durch den sein »schwarzes Gold« ins Ausland fließt und ein akutes Versorgungsproblem mit einem Grundnahrungsmittel mildert. Neu-Delhi würde gar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: das dringend benötigte Erdöl zu einem »Spottpreis« bekommen und den riesigen Getreideüberschuß von etwa zehn Millionen Tonnen drastisch abbauen. Bisher wußte man nicht recht, wohin damit. Die Absicht, davon auf dem Weltmarkt zwei bis drei Millionen Tonnen zu »realistischen Preisen« zu verkaufen, ließ sich bislang nicht verwirklichen. Indien kann die niedrigen Weltmarktpreise kaum unterbieten, und die Qualität seines Getreides (Belastung mit Pestiziden, Pilzen usw.) läßt angeblich zu wünschen übrig. Vorteilhafter könnte die Vereinbarung für beide Staaten also nicht sein. Die große Frage ist nur, ob Washington und indirekt Israel mitspielen. Beiden dürfte an einer Achse Bagdad-Neu-Delhi wenig gelegen sein. Indien hat bisher penibel vermieden, im Nahostkonflikt Partei zu ergreifen und damit Tel Aviv durchaus einen Gefallen getan. Daß nun Irak, verkörpert durch Erzfeind Saddam Hussein, mit Indien gemeinsame Wirtschaftssache macht und damit Wind in die Segel bekommt, wird man gewiß über die Sonderbeziehungen zu den USA zu verhindern trachten. In der erwähnten UNO- Sanktionskommission geben schließlich immer noch die Amerikaner den Ton an. Jedenfalls scheint die noch zarte Freundschaft zwischen Indien und den USA jetzt vor ihrer ersten echten Bewährungsprobe zu stehen. Für Indien zugleich ein Test, wie weit es im Streben nach Großmachtstatus schon gekommen ist. Hilmar König, Neu-Delhi |