Neue Zürcher Zeitung (CH), 2.12.2000
Schlag Bagdads gegen die Ölexportkontrolle
Jordanischer Linienflug unter humanitärem Vorwand
Der Irak hat seine Strategie der Umgehung des Uno-Embargos vorangetrieben.
Die Erdölexporte wurden am Freitag blockiert, um Zahlungen ausserhalb
des von den Sanktionen verordneten Uno-Sperrkontos zu erzwingen. Zugleich
landete in Bagdad der erste jordanische Linienflug, freilich noch immer
unter humanitärem Vorwand.
vk. Limassol, 1. Dezember
Nachdem der irakische stellvertretende Ministerpräsident Tarek Aziz
in Moskau fruchtlose Verhandlungen über eine einvernehmliche Aufhebung
des Uno-Embargos geführt hatte, hat Bagdad am Freitag weitere praktische
Schritte zur eigenmächtigen Umgehung der Abschnürung eingeleitet.
Russland beharrte bei den Beratungen dieser Woche weiterhin auf der Zulassung
von internationalen Abrüstungsinspektoren im Irak, um die Zerstörung
der Massenvernichtungswaffen gemäss den Waffenstillstandsresolutionen
von 1991 zu kontrollieren. Aziz lehnte das kategorisch ab, obwohl Moskau
ihm einen festen Termin für ein Ende der Abschnürung angeboten
hatte. Aziz deutete zugleich mit seiner Ankunft in einem irakischen Linienflugzeug
an, dass Bagdad gar nichtmehr auf eine Zustimmung des Uno-Sicherheitsrats
zu warten brauche, sondern die Sanktionen einseitig durchbrechen könne.
Von Moskau wandte er sich nach Damaskus, das er zum zweiten Mal innert
einer Woche besuchte.
Ringen um ein Konto ohne Uno-Aufsicht
Nach Berichten von Erdölspediteuren hat der Verlad von irakischem
Erdöl am Donnerstag um Mitternacht in beiden Exporthäfen aufgehört,
sowohl in Mina al-Bakr am Persischen Golf als aucham Ende der Überlandleitung
im türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Ein Sprecher des Ölministeriums
in Bagdad wollte dazu jedoch nicht Stellung nehmen, sondern forderte nur
Beratungen mit den Uno-Experten für das Programm der kontrollierten
Erdölexporte. Der Streit dreht sich darum, dass Bagdad unter dem
Vorwand einer Preiskorrektur von seinen Abnehmern plötzlich Zahlungen
in ein separates Konto verlangte, welches im Gegensatz zu dem Sperrkonto
unter Uno-Aufsicht im Rahmen des «Oil for food»-Programms
keinen Kontrollen unterliegt. Das Uno- Sanktionskomitee betrachtet das
Ansinnen als klaren Verstoss gegen die Sanktionen, welche Saddam Hussein
am Einkauf von Rüstungsgütern hindern sollen. Bagdad seinerseits
wollte seinen Abnehmern diesen Verstoss aufzwingen, indem es mit der Kündigung
der Ölkontrakte drohte. Und nun versucht Saddam Hussein offenbar
die Amerikaner direkt zu erpressen, indem er den Förderhahn zudreht
und dem Weltmarkt 2,4 Millionen Fass Erdöl im Tag entzieht, was auf
längere Frist eine Preisexplosion nach sich ziehenkönnte. Saudiarabien
hat zwar den Ersatz möglicher irakischer Ausfälle zugesagt,
braucht aber zur Mobilisierung seiner Reservekapazität von 1,8 Millionen
Fass im Tag mindestens drei Monate Zeit.
Am Freitag wurde auch das Luftfahrtembargo gegen den Irak erstmals durch
einen kommerziellen Linienflug durchbrochen; hier war die Reihean Jordanien.
Ein Airbus 310 der Royal Jordanian landete kurz nach Mitternacht auf dem
Flughafen von Bagdad. Obwohl der Flug öffentlichangekündigt
war und Billette dafür verkauft wurden, deklarierte ihn Verkehrsminister
Irsheidat als unprogrammierten Charterflug mit humanitärem Charakter.
Er hatte 29 zahlende Passagiere an Bord, vor allem Geschäftsleute
und einige Journalisten, sowie eine Ladung medizinischer Hilfsgüter.
Der Abflug in Amman hatte sich zunächst auf den Abend verzögert,
dann nochmals um fünf Stunden bis spät in die Nacht, offensichtlich
weil das Uno-Sanktionskomitee mit seiner Zustimmung auf sich warten liess.
Royal Jordanian plant eine regelmässige Verbindung nach Bagdad mit
einem Flug pro Woche, allenfalls mit einem Gegenstück der Iraqui
Airways. Die kommerzielle Auslastung ist gesichert, da die Fahrt auf dem
Landweg von Amman nach Bagdad mindestens 12 Stunden dauert.
Verwirrung über das Luftverkehrsembargo
In der rechtlichen Diskussion über das Luftverkehrsembargo haben
die Iraker seit Mitte August durch eine anhaltende Serie «humanitärer
Flüge» nach Bagdad derartige Verwirrung gestiftet, dass selbst
hohe Informationsbeamte in Amman heute der Meinung sind, das Verbot der
kommerziellen Zivilluftfahrt habe niemals eine Grundlage in den Embargoresolutionen
gehabt. Die jordanische Regierung erkennt freilich, dass sie die Uno und
die permanenten Mitglieder des Sicherheitsrats nicht übergehen kann.
Weil sie anderseits für ihre Energieversorgung total vom Irak abhängig
ist, fühlt sie sich zur Pionierleistung als Embargobrecher gezwungen.
Dabei nimmt die Royal Jordanian weiterhin Zuflucht bei humanitären
Zwecken;falls diese nicht aus einer Frachtladung mit Hilfsgütern
ersichtlich werden, müssen die Passagiere einzeln humanitäre
Gründe oder Zielsetzungen ihrer Reise geltend machen. Bisher wurden
etwa Krankheit, fortgeschrittenes Alter, religiöse Pilgerreisen oder
humanitäre Beschäftigungen dafür angeführt. Die Iraker
setzen darauf, dass sich mit der Eröffnung weiterer Linienflüge
aus Nachbarländern wie Syrien und Iran eine derart unübersichtliche
Situation ergibt, dass das Uno-Sanktionskomitee seine Kontrollen aufhebt
und den Zivilverkehr freigibt.
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