junge Welt, 04.12.2000 Ist Isolationshaft mit EU-Normen vereinbar? junge Welt sprach mit Hali Igöz * Hali Igöz ist Vorstandsvorsitzender der Istanbuler Kulturstiftung Beksav, die zu den Organisatoren der Aktion gehörte F: Am Samstag endete in Brüssel ein zweiwöchiger Sternmarsch gegen das System der Isolationshaft in der Türkei. Die türkische Regierung hat aber durchaus Recht, wenn sie erklärt, die geplanten Isolationszellen entsprächen der EU- Norm. Ist Brüssel für Ihren Protest also der richtige Ort? Die politischen Gefangenen kämpfen nicht nur gegen die türkische Regierung, sondern gegen die imperialistischen Zentren insgesamt. Viele Menschen in der Türkei wissen, daß die Europäischen Union ihnen nur wirtschaftliche Nachteile und Elend gebracht hat. Auch die Rolle der EU und besonders auch der Bundesrepublik beim Militärputsch in der Türkei im Jahre 1980 ist bei vielen Menschen noch sehr präsent. F: Wie breit ist die Bewegung in Ihrem Land? Am 25. November wurde eine landesweite Demonstration gegen Isolationshaft in Istanbul organisiert, an der über 8000 Menschen teilgenommen haben. Das war die größte Demonstration zu dieser Problematik in der Türkei seit langem. Wir wollen den Widerstand aber noch ausweiten, zum Beispiel findet in Istanbul am 23. und 24. Dezember ein Dichterkongreß gegen die Isolationszellen statt. Es sollen Gedichte von Nazim Hikmet, Yilmaz Güney und anderen berühmten Schriftstellern vorgelesen werden. Wir wollen ein möglichst breites Bündnis herstellen, ohne unsere Prinzipien zu verraten. Bündnisse mit den Islamisten lehnen wir nach wie vor ab. Während des Gefängnisaufstandes, der 1996 viele Tote forderte, stellten sie die Regierungspartei. Es ist scheinheilig, wenn die gleichen Politiker sich jetzt als Gegner der Isolationszellen bezeichnen. F: Sind nach Ende des Sternmarsch weiter Aktionen in Europa geplant? Das Komitee »Nein zu den Todeszellen« wird in den nächsten Tagen zu Hungerstreiks in mehreren europäischen Großstädten aufrufen. Auch mehrere hundert revolutionäre Gefangene in der Türkei, die sich bisher noch nicht am Hungerstreik beteiligt haben, werden bei einer drohenden Zuspitzung der Situation in den Gefängnissen sofort mit einem Hungerstreik beginnen, also Essen und Trinken ablehnen. Eine solche Zuspitzung könnte verhindert werden, wenn unsere Forderungen aus Europa unterstützt würden. Im türkischen Exil ist diese Aufmerksamkeit durchaus vorhanden. Jeder politische Mensch aus der Türkei, der im Exil lebt, ist entweder selber schwer gefoltert worden oder hat Freunde und Verwandte in türkischen Gefängnissen verloren. Die Bereitschaft zum Engagement ist daher groß. F: Wie kann Ihre Initiative unterstützt werden? Die Istanbuler Kulturstiftung Beksav hat am 15. November der Öffentlichkeit einen von verschiedenen linken Zeitschriften, Organisationen sowie bekannten Künstlern und Intellektuellen unterstützten Aufruf mit dem Titel »Nein zu den Todeszellen« vorgestellt. Ziel ist es, möglichst schnell eine Million Unterstützungsunterschriften in der Türkei und Europa zu sammeln. Dem Aufruf haben sich auch schon verschiedene PDS-Verbände und Gruppen wie die Rote Hilfe und Libertad angeschlossen. Wer den Appell unterstützen will, kann sich als Einzelperson oder Organisation an die E-Mail-Adresse agif@gmx.de wenden. Interview: Peter Nowak |