Hannoversche Allgemeine Zeitung, 4.12.2000 Im Gespräch: Ahmet Güler Mit der Bemerkung, ebensogut wie die Türkei "hätte man gleich auch Libyen" zum EU-Kandidaten machen können, hat Niedersachsens CDU-Chef Christian Wulff eine ganze Bevölkerungsgruppe gegen sich aufgebracht - die türkischen Unternehmer in Deutschland. "Libyen hat jahrzehntelang Terroristen unterstützt, die Türkei bekämpft seit Jahrzehnten Terroristen", hält Ahmet Güler, Vorsitzender des Bundes Türkisch-Europäischer Unternehmer (BTEU), dagegen. "Ärgerlicherweise liefert Wulff mit seiner unglücklichen Gleichsetzung ausgerechnet antiwestlichen Strömungen unter den Türken Munition." Dabei seien die türkische Politik und die meisten Türken in Deutschland traditionell prowestlich, betont Güler, der als Unternehmer in Hannover seit zehn Jahren an der Spitze des BTEU steht. Vor allem für die türkischen Selbstständigen sei diese Westorientierung eine Selbstverständlichkeit - die 3000 Mitglieder, die sein in acht europäischen Staaten repräsentierter Verband allein in Deutschland hat, seien hier ein etablierter Wirtschaftsfaktor. "Türkischstämmige Unternehmer betreiben längst nicht mehr nur Dönerbuden und Gemüseläden", sagt der BTEU-Chef. "Unsere Mitglieder vertreten 165 verschiedene Branchen - darunter auch Zukunftsbereiche wie Internet und Genforschung." Knapp eine Million Arbeitsplätze gebe es in den 55 000 türkischen Firmen in Deutschland, allein im vergangenen Jahr seien 12,4 Milliarden Mark investiert und mehr als 50 Milliarden Mark umgesetzt worden. Für den türkischen EU-Beitritt seien diese Selbstständigen, weil viele von ihnen zugleich in ihrer einstigen Heimat unternehmerisch tätig sind und daher wirtschaftliche Vorteile in der EU-Aufnahme der Türkei sehen. "Aber es geht auch um Vorteile für deutsche Firmen", betont der 43-Jährige, der vor 20 Jahren nach Deutschland gekommen ist, um hier seinen Doktor in Wirtschaftswissenschaften zu machen. Für sie könnten gerade die türkischen Unternehmer Türöffner zur Türkei sein. "Das ist ein sehr dynamischer und junger Wachstumsmarkt, über den sich auch andere Länder des Mittleren Ostens erschließen lassen." "Die EU braucht keinen Schutz vor der Türkei", sagt Güler, "wohl aber vor Islamisten." Mehr als manches antitürkische Vorurteil irritiert den Verbandschef nach eigenem Bekunden der Spielraum, den moslemische Fundamentalisten in Deutschland genießen. "Für Islamisten ist Deutschland geradezu ein Paradies", warnt der Unternehmer. Dabei gehe es längst nicht mehr nur um fundamentalistische Koranschulen, sondern um den Aufbau islamistischer Wirtschaftsimperien in Deutschland. Beispielsweise hätten zehn fundamentalistische Organisationen in Deutschland mit Schwindelfirmen allein mehr als sechs Milliarden Mark unter nichtsahnenden Gläubigen gesammelt. Solche Umtriebe würden womöglich den Türken pauschal angelastet, befürchtet Güler. Das könne wiederum die Verhandlungen um die Beitrittspartnerschaft belasten, über die die EU-Außenminister am heutigen Montag entscheiden wollen. Daniel Alexander Schacht, Hannover |