DER STANDARD (A), 4.12.2000 Totes Recht kann Kommissar sichern Ob kleine Länder jemals auf einen Vertreter verzichten, hängt von der Türkei ab Brüssel - Es wäre einzuräumen, "dass diese Fragen nur auf höchster Ebene entschieden werden können", heißt es in einem Zwischenbericht der französischen EU-Ratspräsidentschaft an die Außenminister zur angestrebten Neuordnung der EU-Kommission. Im Klartext: Über die Zahl der EU-Kommissare würden am Ende ohnehin die Staats- und Regierungschefs entscheiden. Oder anders gesagt: Die Verhandler könnten noch so schöne Berechnungen und Modelle erstellen - im Finale von Nizza werden vermutlich winzige Details den Ausschlag darüber geben, ob eine echte Umgestaltung der EU-Zentralbehörde (wie Paris sie anstrebt) zum Tragen kommt oder nicht. Tatsächlich hat sich seit dem "großen Krach" zwischen kleinen und großen Mitgliedstaaten beim Abendessen der Staats- und Regierungschefs in Biarritz im Oktober kaum Neues ergeben. Um die Kommission (20 Mitglieder) nach der Erweiterung im Rahmen zu halten, sollen die großen Staaten gemäß Amsterdam-Vertrag auf einen von zwei Kommissaren verzichten. Jacques Chirac hatte den "Kleinen" damals ultimativ angedroht, sie würden für das Scheitern der Erweiterung verantwortlich sein, wenn auch sie nun nicht zeitweilig auf einen Kommissar verzichten. Vor allem Österreich und Portugal pochten auf die Notwendigkeit, dass jedes EU-Land auch in jeder EU-Institution vertreten sein müsse. Schon damals schien klar, dass die französische Vorstellung von einer "schlagkräftigen" abgespeckten Kommission wegen Vetos nicht realisierbar ist. In den Verhandlungen bis zum Wochenende wälzten die Verhandler ein zweites Modell hin und her, das in Biarritz schon auf dem Tisch lag: In einer ersten Stufe würden die großen Länder ab dem Jahr 2005 auf einen Kommissar verzichten. Dafür solle im Vertrag schon vereinbart werden, ab wann eine Höchstzahl an Kommissaren festgeschrieben wird. Entweder ab dem Jahr 2010 oder ab dem Moment, wenn die Union mehr als 25 bis 27 neue Mitglieder haben wird. Zwar berichten Verhandler, dass Österreich, Portugal, Irland und Schweden mittlerweile in die Defensive geraten seien, weil die Beneluxländer sich auf ein "Rotationsmodell" einlassen könnten, sofern dies bei der Neugewichtung der Stimmen im Ministerrat günstig berücksichtigt werden würde. Eine solche Rotation würde den Effekt haben, dass jedes EU-Land alle fünfzehn Jahre für eine Periode auf einen eigenen Kommissar verzichten muss. Aber der Teufel steckt im Detail. Es ist möglich, dass nach einem Kompromiss sowohl die kleinen Länder behaupten könnten, "ihr" Kommissar sei gesichert, wie die großen Länder sagen könnten, eine mögliche "Explosion" der Kommission sei abgewendet. Dann nämlich, wenn man sich auf eine Formel einigt, dass die Rotationsregelung gelten soll, wenn alle Kandidaten EU-Mitglieder sind. Da Bulgarien, Rumänien und die Türkei den Beitritt noch sehr lange nicht schaffen werden, gäbe es am Ende nur Sieger. Man hätte eine Rotation vereinbart, die in der Praxis nicht greift. (tom) |