Frankfurter Rundschau, 4.12.2000 Friedensbewegung fürchtet Militarisierung der EU "Friedenspolitischer Ratschlag" will Politik zivilisieren / Scharfe Kritik an Bundesregierung Von unserer Mitarbeiterin Die rot-grüne Bundesregierung ist längst in die Kritik der Friedensinitiativen geraten: Es gehöre zu den großen Enttäuschungen der vergangenen Jahre, dass diese Regierung "passgenau in die Fußstapfen der Vorgängerregierung trat und mit der Teilnahme am Nato-Krieg gegen Jugoslawien sogar noch einen draufsetzte", sagte der Wissenschaftler Peter Strutynski beim diesjährigen "Friedenspolitischen Ratschlag". ari KASSEL, 3. Dezember. Die Abschlusserklärung des "Ratschlags" (www.friedensratschlag.de), zu dem am Wochenende rund 300 Teilnehmer aus 180 bundesdeutschen Städten und Gäste aus dem Ausland nach Kassel kamen, steht unter dem Motto "Die Politik zivilisieren". Darin wird nicht nur ein Ende der Gewalt gegen das palästinensische Volk gefordert, sondern auch Widerstand gegen die geplante Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee, gegen Rüstungsexporte in die Türkei und gegen eine "Militarisierung der EU" angekündigt: Die Zeit, da sich die Friedensinitiativen weitgehend in Diskussionszirkeln bewegten, ist offenbar vorbei. Einer der Hauptreferenten, Brigadegeneral a.D. Heinz Loquai - bis zu seiner "Abstrafung" im Sommer dieses Jahres Mitglied der Deutschen OSZE-Delegation in Wien - warf der Bundesregierung erneut vor, den Krieg gegen Jugoslawien mit groben Manipulationen vorbereitet zu haben. Der von Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) präsentierte "Hufeisenplan" sei ein "geschickt inszenierter Propagandacoup" gewesen, mit dem die Kritik am Krieg gegen Jugoslawien "erstickt wurde". Die demokratischen Großmächte sind nach Ansicht der Friedensbewegung weit davon entfernt, auf die zunehmenden Gewaltkonflikte in der Welt "mäßigend einzuwirken". So sei zum Beispiel das 1990 vom UN-Sicherheitsrat nach dem Überfall auf Kuwait beschlossene Embargo gegen Irak bis heute nicht aufgehoben worden - trotz seiner katastrophalen Folgen für die Zivilbevölkerung. So soll es schon mehr als 1,4 Millionen "Blockadeopfer" geben, darunter mehr als 500 000 Kinder unter fünf Jahren. US-Wissenschaftler sprächen bereits von "sanktionierten Massenmord". Kriege, so formulierte es die Kölner Soziologin Maria Mies, seien lediglich "gut für die Wirtschaft". Auch der globale Freihandel sorge keinesfalls, wie behauptet, für Frieden. Er vergrößere vielmehr die Kluft zwischen Armen und Reichen - auch innerhalb der jeweiligen Länder. Durch die Politik der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation (Mies: eine "unheilige Killer-Trinität") würden die Schuldenberge vieler Länder und damit die Armut zunehmen. Die Chefs dieser Organisationen seien die "Väter der Armut", sagte Mies. Auch die so genannte humanitäre Katastrophe im Kosovo-Krieg gehe letztlich auf deren Konto. Der Kosovo-Krieg wurde als eine Art "Übergangs-Ritual" bezeichnet: Seither sei der Krieg "wieder eine gute Sache". Tatsache ist, dass auch die deutsche Industrie von den Konflikten in der Welt profitiert. Nach den präsentierten Zahlen wurden 1999 aus der Bundesrepublik Rüstungsgüter im Wert von mehr als 2,8 Milliarden Mark exportiert - mehr als doppelt soviel wie 1998. |