Süddeutsche Zeitung, 5.12.2000 Neue Gespräche über parteiübergreifende Regierung Barak befürwortet große Koalition Israels Premier und Likud-Chef Scharon zeigen sich verhandlungsbereit, um ihr politisches Überleben zu sichern / Von Thorsten Schmitz Jerusalem - Ungeachtet der bevorstehenden Neuwahlen versucht der israelische Premierminister Ehud Barak weiter den oppositionellen Likud für eine große Koalition zu gewinnen. Das berichteten israelische Medien übereinstimmend am Montag. Nach Angaben eines Mitarbeiters von Kommunikationsminister Benjamin Ben-Eliezer gibt es "intensive Kontakte" zwischen diesem und dem Likud-Vorsitzenden Ariel Scharon. Umweltministerin Dalia Itzik erklärte: "Ich habe den Eindruck, dass es eine Gelegenheit für eine große Koalition gibt." Aus dem Büro von Barak verlautete, der Premierminister habe die Idee einer Koalition mit dem Likud "noch nicht aufgegeben" und befürworte Gesprächskontakte. Der Generalsekretär der Arbeitspartei, Raanan Cohen, berichtete, er habe von Scharon eine persönliche Botschaft erhalten, wonach dieser einer Koalitionsbildung offen gegenüberstehe. Scharon dementierte jegliche Kontakte. Der Likud-Vorsitzende hatte vergangene Woche mit Erfolg einen Gesetzesentwurf zur vorzeitigen Auflösung des Parlaments in die Knesset eingebracht. Premierminister Barak war der Abstimmung durch seine Zustimmung zu Neuwahlen zuvorgekommen. Scharon hatte trotz mehrfacher Sondierungsgespräche die Bildung einer großen Koalition immer wieder abgelehnt, allerdings noch am Abend der Abstimmung über Neuwahlen eingeräumt, einer Koalition mit der Arbeitspartei nicht abgeneigt zu sein. Scharon macht eine Teilnahme an der Regierung von Baraks Versprechen abhängig, alle in den Verhandlungen mit den Palästinensern gemachten Zugeständnisse einzufrieren. Eine große Koalition würde die in erster Lesung beschlossenen Neuwahlen hinfällig machen. Davon könnten nach Ansicht israelischer Medien Barak und Scharon profitieren. Scharon müsste sich dann nicht mehr gegen seinen parteiinternen Rivalen Benjamin Netanjahu durchsetzen. Und Barak könnte Premierminister bleiben, ohne das Risiko von Neuwahlen bestehen zu müssen. Jüngsten Umfragen zufolge würde Barak ohne einen Friedensschluss mit den Palästinensern bei Neuwahlen verlieren. Sollte Netanjahu sein Konkurrent sein, wären Baraks Stimmenverluste sogar erheblich. Der arabische Knesset-Abgeordnete Achmed Tibi gab seine Absicht bekannt, als Premier zu kandidieren. Tibi, der früher als Berater von Palästinenserpräsident Jassir Arafat gearbeitet hat, bezeichnete die Kandidatur als "Protest". Er warf Barak vor, die Interessen der arabischen Israelis, die ihm zum Wahlsieg verholfen hatten, zu ignorieren. Israelische Siedler blockierten am Montag eine Hauptstraße im Gaza-Streifen und verweigerten Arafat die Durchfahrt. Er musste anderthalb Stunden auf dem Flughafen von Gaza warten. Beobachter sagten, sie hätten Arafat, der eine Maschinenpistole in die Luft hielt, noch nie so wütend gesehen. Seit 1991 habe er in der Öffentlichkeit keine Waffe mehr getragen. In der Nacht zum Montag kam es zu den bisher heftigsten Gefechten. Nach einem Angriff palästinensischer Extremisten auf das Grab der Rachel in der Nähe von Bethlehem kam es zu einem dreistündigen Schusswechsel. Die israelische Armee setzte Kampfhubschrauber ein. Auch der Jerusalemer Vorort Gilo wurde vom palästinensischen Dorf Beit Dschallah aus beschossen. |