Frankfurter Rundschau, 6.12.2000 Schily warnt vor "Super-Maximalstandard" Der Bundesinnenminister lehnt europäische Lösungen ab, die über das deutsche Asylrecht hinausgehen Von Pitt von Bebenburg Vor dem EU-Gipfel in Nizza zeichnet sich in der Asyl- und Ausländerpolitik keine gemeinsame europäische Linie ab. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sieht "noch einiges an Hürden" zu überwinden. Auf Bundesebene unternahm Schily einen Vorstoß, die nachträgliche Einbürgerung von Kindern nach dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht gebührenfrei zu machen. BERLIN, 5. Dezember. Der deutsche Innenminister Schily lehnt den Vorschlag der EU-Kommission zur Zusammenführung von Familien ab, da damit eine "Ausweitung der Anspruchs-Tatbestände" verbunden wäre. Heute kämen über den Familiennachzug 70 000 bis 100 000 Menschen pro Jahr in die Bundesrepublik, "bei denen wir gar keinen Entscheidungsspielraum haben". Er könne keiner Regelung zustimmen, bei der "sich diese Zahl verdreifacht oder noch mehr erhöht", sagte Schily am Dienstag in Berlin bei der Vorstellung seiner "Halbzeitbilanz". Der Sozialdemokrat betonte aber, dass er eine gemeinsame europäische Lösung wünsche. Auch in Hinblick auf das Asylrecht zeigte sich Schily noch skeptisch. Gemeinsame Regelungen nach dem Mehrheitsprinzip festzulegen sei erst möglich, wenn man sich auf einen "Grundkanon" verständigt habe. Das deutsche Asylrecht sei bereits ein "Maximalstandard". Wenn über europäische Regelungen weiteren Bewerbern Anspruch auf Asyl zugebilligt werden müsste, wäre dies ein "Super-Maximalstandard", kritisierte der Minister. So sei es "in keinem Fall akzeptabel", wenn etwa versucht werde, über eine europäische Lösung "die Drittstaatenregelung auszuhebeln". Diese Regelung sieht vor, dass ein Bewerber, der über einen "sicheren Drittstaat" nach Deutschland gekommen ist, dort seinen Asylantrag stellen muss. In Sachen Asyl plädierte Schily dafür, "keine Denkverbote" zu verhängen. Sein Ziel sei es, ein flexibles, transparentes und praktikables Verfahren zu erreichen. Antragsteller müssten sich von Anfang an entscheiden, ob sie sich um Asyl, Zuwanderung oder um vorübergehenden Schutz bewerben. Der Innenminister gab bekannt, dass er sich bei seinen Kollegen in den Bundesländern dafür eingesetzt habe, die nachträgliche Einbürgerung von Kindern bis zehn Jahren kostenlos zu ermöglichen. Die Gebühr für diese Einbürgerung, die mit dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht möglich geworden ist, beträgt in der Regel 500 Mark. Die Frist für diese Form der Einbürgerung, die zum Jahresende ausläuft, solle verlängert werden, forderte Schily. "Verwundert" äußerte sich der Minister über die ablehnenden Reaktionen aus der Polizei-Gewerkschaft zu seinem Vorhaben, Bundesgrenzschützer im Kampf gegen Rechtsextremismus einzusetzen. Er wolle BGS-Leute gezielt zur Verfügung stellen, wo die Kräfte der Länderpolizeien nicht ausreichten. Schilys Sprecher Dirk Inger hatte dazu festgestellt, es wäre "das erste Mal, dass es im Kampf gegen den Rechtsextremismus eine institutionalisierte Zusammenarbeit gäbe zwischen Bundesgrenzschutz und Landespolizei." |