Financial Times Deutschland, 6.12.2000 Saddams effektivste Waffe Von Olaf Preuß und Torsten Engelhardt, Hamburg Mit der Drosselung seiner Ölexporte setzt Iraks Diktator die Weltgemeinschaft erneut unter Druck. Sein Ziel: das Ende der internationalen Isolation Der Charterjet, der am Freitagabend vergangener Woche vom Pariser Flughafen Orly abhob, steuerte ein heikles Ziel an: Nach einem Zwischenstopp im syrischen Damaskus flog die MD 83 weiter nach Bagdad, der Hauptstadt des international geächteten Irak. Der Flug der 80 Passagiere, der gegen internationale Abmachungen verstieß, sollte provozieren. Abgeordnete der französischen Nationalversammlung, unterstützt von französischen Wirtschaftsvertretern und Hilfsorganisationen, demonstrierten mit ihrer Reise für das Ende der mehr als zehn Jahre währenden Isolation des arabischen Staates. Im Sommer 1990 hatte Saddam Hussein den Nachbarstaat Kuwait überfallen. Die Vereinten Nationen verhängten daraufhin umfassende Sanktionen gegen den Aggressor - ein hilfloser Versuch. Der verhasste Diktator ist bis heute an der Macht. Der Druck der Unternehmen, die Milliardengeschäfte mit dem rohstoffreichen Land machen wollen, wächst. Die Front der Embargo-Befürworter bröckelt. Die Wirkung der Ölwaffe Eine heikle Situation für die Vereinten Nationen, die der wiedererstarkte Saddam jetzt gnadenlos ausnutzt: Am Freitag stoppten sie die Verladung von Öl im türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan und im irakischen Hafen Mina al-Bakr - und testeten damit einmal mehr die Wirkung der Ölwaffe. Die USA, die Internationale Energieagentur (IEA) und die Organisation Erdöl exportierender Staaten (Opec) beeilten sich, die Folgen herunterzureden. Saudi-Arabien, weltgrößter Ölförderer, sicherte zu, fehlende irakische Mengen bei Bedarf durch eine höhere Förderung auszugleichen. Brisante Drohung Der von Irak erhoffte Preisschub beim Rohöl blieb zwar aus; Opec-Öl war zu Beginn dieser Woche sogar billiger als einige Tage zuvor. Der Markt hatte den Schritt erwartet, weil das zwischen UN und Irak umstrittene Programm "Öl für Lebensmittel", das den Irak verpflichtet, den Rohstoff unter Weltmarktpreis zu verkaufen, zur Verlängerung anstand. In der vergangenen Nacht kam der Sicherheitsrat zusammen, um das Programm zu erneuern. Die Drohung der Iraker ist dennoch brisant, insbesondere zum jetzigen Zeitpunkt: Die ölabhängige US-Konjunktur steht auf der Kippe. Mit Ausnahme Saudi-Arabiens produzieren fast alle Opec-Staaten an ihrer Kapazitätsgrenze, ebenso wichtige Nicht-Opec-Förderstaaten wie Russland oder Norwegen. "Wäre der Winter bislang nicht so mild und damit die Nachfrage relativ gering, hätte der Exportstopp der Iraker ohne Zweifel auf den Preis durchgeschlagen", sagt ein Marktbeobachter einer großen Mineralölgesellschaft. Die Bedeutung der irakischen Ölförderung ist immens. Der Irak besitzt nach Saudi-Arabien die zweitgrößten Ölreserven der Welt und produziert derzeit täglich rund drei Millionen Barrel (je 159 Liter). Die UN gestatten dem Land im Rahmen des Programms "Öl für Lebensmittel" den Export von täglich 2,3 Millionen Barrel. Die aktuelle Förderung liegt weit unter der Menge, die der Irak unter normalen Umständen produzieren könnte. Die Front bröckelt Staaten wie China, Russland oder Frankreich fordern seit langem mehr oder minder offen ein Ende der Sanktionen. Vor allem im Interesse ihrer heimischen Konzerne. Russischen Firmen, so rechnete Moskaus Außenminister Igor Iwanow jüngst vor, seien in den vergangenen zehn Jahren durch das Embargo umgerechnet rund 68 Mrd. DM entgangen. Die Ölmultis, die vor dem Golfkrieg jahrzehntelang gut im Geschäft mit Irak waren, warten nur darauf, dass die Sanktionen fallen. Die irakische Infrastruktur muss nach zehnjähriger Isolation dringend renoviert, neue Ölquellen müssen erschlossen werden, um die Förderung zu sichern. "Die Konzerne stehen Schlange für den Tag, an dem die Sanktionen aufgehoben werden", sagt der Hamburger Ölmarktexperte Dieter Gripp. Offener als die Konkurrenz gibt der französische Energieriese TotalFinaElf zu erkennen, was er künftig im Irak vorhat. Thierry Desmarest, Präsident der viertgrößten börsennotierten Ölgesellschaft der Welt, hatte wiederholt die Aufhebung der Sanktionen gefordert. Zwei Projekte zur Förderung auf den Feldern Bin Umar und Majnoon sind bereits fest vereinbart. "Wir werden natürlich nicht gegen die internationalen Sanktionen verstoßen", sagt Konzernsprecherin Eve Gautier, "aber sobald sie aufgehoben sind, werden wir wieder in Irak arbeiten." Führungsclique häuft Reichtümer an Angesichts dieses Drucks fällt es vor allem den Amerikanern und Briten immer schwerer, die Weltgemeinschaft vom Sinn des in die Leere greifenden Embargos zu überzeugen. Saddams Führungsclique häuft - unter anderem durch den Schmuggel von Erdöl - weiterhin Reichtümer an. Die Macht des Alleinherrschers ist fast zehn Jahre nach der Niederlage im Golfkrieg unangefochten. Eine Opposition hat im Reich des babylonischen Despoten keine Chance; die Hoffnung des Westens, die irakische Armee oder die Geheimdienste würden Saddam beseitigen, hat sich nicht erfüllt. "Es herrscht weitgehend Konsens darüber, dass das Sanktionssystem gegen den Irak kollabiert und eine Neuorientierung notwendig ist", gibt selbst UN-Sprecher Stefan Dujarric zu. Sogar in Deutschland, das sich in dem Konflikt bislang brav zurückgehalten hat, wird Kritik laut. Eine Fachkonferenz im Bundesaußenministerium kam am Dienstag zu dem Schluss, dass Sanktionen vor allem eins bewirkten: Sie zögen das Volk schwer in Mitleidenschaft; das eigentliche Ziel hingegen, die Machthaber zu schwächen, werde zumeist verfehlt. So auch in Irak. Zwar hat die Staatengemeinschaft den Neubau irakischer Massenvernichtungswaffen bislang verhindert, doch der Preis dafür ist in der Tat hoch: Die irakische Bevölkerung lebt im Elend, wie UN-Generalsekretär Kofi Annan vergangene Woche erneut einräumte: "Die Abwesenheit normaler wirtschaftlicher Aktivität lässt die tief sitzende Armut im Land weiter wachsen", heißt es in einer Erklärung Annans zur Lage in Irak. "Ich bedauere die Leiden der irakischen Bevölkerung und hoffe, dass die Sanktionen lieber früher als später aufgehoben werden." Vorausgesetzt, Irak lasse wieder internationale Waffeninspektionen zu. USA wollen irak als Militärmacht ausschalten Strategisches Ziel der USA, die die Vereinten Nationen dominieren, ist es, die Militärmacht Irak als Gegner Israels langfristig auszuschalten. Längst ist Bagdad in diesem unerklärten Krieg zum militärischen Zwerg geschrumpft. Die einzige verbliebene Waffe Saddam Husseins ist deshalb das Öl. Seit Montag laufen Gespräche zwischen Irak und den Vereinten Nationen. "Wir hoffen, das Problem in den nächsten zwei Tagen lösen zu können", sagte Iraks Ölminister Amir Rasheed am Dienstag. Irak fordert mehr Geld für das gelieferte Öl. Die 600 Mio. $, die der Staat alle sechs Monate erhält und die auf ein von der UN kontrolliertes Treuhand-Konto fließen, reichen Saddam nicht mehr. Irak hatte einen Aufpreis von 50 US-Cent je Barrel gefordert, der direkt und ohne Bedingungen nach Bagdad zu fließen habe. "In der Preisfrage sind wir derzeit noch 5 bis 20 US-Cent auseinander", sagte der irakische UN-Botschafter in New York. Seine Regierung hatte zudem angedroht, kein Öl mehr an die Erzfeinde USA und Großbritannien zu liefern, auch nicht nach einer eventuellen Aufhebung des Embargos. Kein Ende der Isolationspolitik in Sicht Ein Ende der Isolationspolitik ist vorerst nicht in Sicht. Die dafür notwendige Zustimmung der USA käme einem Scheitern von Washingtons Irak-Politik gleich. Fortschritte könnte es erst Ende Januar geben. Nach dem Ende des moslemischen Fastenmonats Ramadan wird eine hochrangige irakische Delegation in New York erwartet. "Wir haben Iraks Dialogbereitschaft zur Kenntnis genommen", heißt es bei der UN. Saddams Emissäre nutzen die Zeit derweil, um die wankelmütigen Embargo-Gegner auf ihre Seite zu ziehen. Iraks Vizepräsident Taha Jassin Ramadan holte sich bei einem Besuch in Indien vergangene Woche ein schönes Gastgeschenk ab: Die Inder setzen sich - deutlicher als Russland oder Frankreich - für das Ende des Embargos ein. Damit ändern sie ihre bisherige Politik und verprellen die USA. Der Irak bedankt sich mit Öl: Indien soll langfristig zum Sonderpreis beliefert werden. |