Die Presse (A), 6.12.2000
Wortlaut der EU-Charta
Präambel*
Die Völker Europas sind entschlossen, auf der Grundlage gemeinsamer
Werte eine friedliche Zukunft zu teilen, indem sie sich zu einer immer
engeren Union verbinden.
In dem Bewußtsein ihres geistig-religiösen und sittlichen
Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen
Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der
Solidarität. Sie beruht auf den Grundsätzen der Demokratie und
der Rechtsstaatlichkeit. Sie stellt die Person in den Mittelpunkt ihres
Handelns, indem sie die Unionsbürgerschaft und einen Raum der Freiheit,
der Sicherheit und des Rechts begründet. Die Union trägt zur
Erhaltung und zur Entwicklung dieser gemeinsamen Werte unter Achtung der
Vielfalt der Kulturen und Traditionen der Völker Europas sowie der
nationalen Identität der Mitgliedstaaten und der Organisation ihrer
staatlichen Gewalt auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene bei. Sie
ist bestrebt, eine ausgewogene und nachhaltige Entwicklung zu fördern
und stellt den freien Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr
sowie die Niederlassungsfreiheit sicher.
Zu diesem Zweck ist es notwendig, angesichts der Weiterentwicklung der
Gesellschaft, des sozialen Fortschritts und der wissenschaftlichen und
technologischen Entwicklungen den Schutz der Grundrechte zu stärken,
indem sie in einer Charta sichtbarer gemacht werden.
Diese Charta bekräftigt unter Achtung der Zuständigkeiten und
Aufgaben der Gemeinschaft und der Union und des Subsidiaritätsprinzips
die Rechte, die sich vor allem aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen
und den gemeinsamen internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten,
aus dem Vertrag über die Europäische Union und den Gemeinschaftsverträgen,
aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten, aus den von der Gemeinschaft und dem Europarat beschlossenen
Sozialchartas sowie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
ergeben. Die Ausübung dieser Rechte ist mit Verantwortlichkeiten
und Pflichten sowohl gegenüber den Mitmenschen als auch gegenüber
der menschlichen Gemeinschaft und den künftigen Generationen verbunden.
Daher erkennt die Union die nachstehend aufgeführten Rechte, Freiheiten
und Grundsätze an.
I. Würde des Menschen
Art. 1. Würde des Menschen
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu
schützen.
Art. 2. Recht auf Leben
(1) Jede Person hat das Recht auf Leben.
(2) Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.
Art. 3. Recht auf Unversehrtheit
(1) Jede Person hat das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit.
(2) Im Rahmen der Medizin und der Biologie muß insbesondere Folgendes
beachtet werden:
- die freie Einwilligung der betroffenen Person nach vorheriger Aufklärung
entsprechend den gesetzlich festgelegten Modalitäten,
- das Verbot eugenischer Praktiken, insbesondere derjenigen, welche die
Selektion von Personen zum Ziel haben, - das Verbot, den menschlichen
Körper und Teile davon als solche zur Erzielung von Gewinnen zu nutzen,
- das Verbot des reproduktiven Klonens von Menschen.
Art. 4. Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe
oder Behandlung
Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe
oder Behandlung unterworfen werden.
Art. 5. Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
(1) Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden.
(2) Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten.
(3) Menschenhandel ist verboten.
II. Freiheiten
Art. 6. Recht auf Freiheit und Sicherheit
Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.
Art. 7. Achtung des Privat- und Familienlebens
Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens,
ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation.
Art. 8. Schutz personenbezogener Daten
(1) Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen
Daten.
(2) Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte
Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen
gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Jede Person
hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten
zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken.
(3) Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer unabhängigen
Stelle überwacht.
Art. 9. Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen Das
Recht, eine Ehe einzugehen, und das Recht, eine Familie zu gründen,
werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen gewährleistet, welche
die Ausübung dieser Rechte regeln.
Art. 10. Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
(1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.
Dieses Recht umfaßt die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung
zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln
oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst,
Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen.
(2) Das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen wird
nach den einzelstaatlichen Gesetzen anerkannt, welche die Ausübung
dieses Rechts regeln.
Art. 11. Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit
(1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses
Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen
und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf
Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.
(2) Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.
Art. 12. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
(1) Jede Person hat das Recht, sich insbesondere im politischen, gewerkschaftlichen
und zivilgesellschaftlichen Bereich auf allen Ebenen frei und friedlich
mit anderen zu versammeln und frei mit anderen zusammenzuschließen,
was das Recht jeder Person umfaßt, zum Schutz ihrer Interessen Gewerkschaften
zu gründen und Gewerkschaften beizutreten.
(2) Politische Parteien auf der Ebene der Union tragen dazu bei, den politischen
Willen der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger zum Ausdruck zu
bringen.
Art. 13. Freiheit von Kunst und Wissenschaft Kunst und Forschung sind
frei. Die akademische Freiheit wird geachtet.
Art. 14. Recht auf Bildung
(1) Jede Person hat das Recht auf Bildung sowie auf Zugang zur beruflichen
Ausbildung und Weiterbildung.
(2) Dieses Recht umfaßt die Möglichkeit, unentgeltlich am Pflichtschulunterricht
teilzunehmen.
(3) Die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten unter Achtung der
demokratischen Grundsätze sowie das Recht der Eltern, die Erziehung
und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen,
weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen,
werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen geachtet, welche ihre Ausübung
regeln.
Art. 15. Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten
(1) Jede Person hat das Recht, zu arbeiten und einen frei gewählten
oder angenommenen Beruf auszuüben.
(2) Alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die Freiheit,
in jedem Mitgliedstaat Arbeit zu suchen, zu arbeiten, sich niederzulassen
oder Dienstleistungen zu erbringen.
(3) Die Staatsangehörigen dritter Länder, die im Hoheitsgebiet
der Mitgliedstaaten arbeiten dürfen, haben Anspruch auf Arbeitsbedingungen,
die denen der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger entsprechen.
Art. 16. Unternehmerische Freiheit Die unternehmerische Freiheit wird
nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften
und Gepflogenheiten anerkannt.
Art. 17. Eigentumsrecht
(1) Jede Person hat das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum
zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben.
Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn aus Gründen
des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen,
die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene
Entschädigung für den Verlust des Eigentums. Die Nutzung des
Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl
der Allgemeinheit erforderlich ist.
(2) Geistiges Eigentum wird geschützt.
Art. 18. Asylrecht
Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28.
Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung
der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung
der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.
Art. 19. Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung
(1) Kollektivausweisungen sind nicht zulässig.
(2) Niemand darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen
Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte
Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder
erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.
III. Gleichheit
Art. 20. Gleichheit vor dem Gesetz
Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich.
Art. 21. Nichtdiskriminierung
(1) Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der
Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale,
der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder
sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit,
des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der
sexuellen Ausrichtung sind verboten.
(2) Im Anwendungsbereich des Vertrags zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union ist
unbeschadet der besonderen Bestimmungen dieser Verträge jede Diskriminierung
aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.
Art. 22. Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen
Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen.
Art. 23. Gleichheit von Männern und Frauen
Die Gleichheit von Männern und Frauen ist in allen Bereichen, einschließlich
der Beschäftigung, der Arbeit und des Arbeitsentgelts, sicherzustellen.
Der Grundsatz der Gleichheit steht der Beibehaltung oder der Einführung
spezifischer Vergünstigungen für das unterrepräsentierte
Geschlecht nicht entgegen.
Art. 24. Rechte des Kindes
(1) Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für
ihr Wohlergehen notwendig sind. Sie können ihre Meinung frei äußern.
Ihre Meinung wird in den Angelegenheiten, die sie betreffen, in einer
ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt.
(2) Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher oder
privater Einrichtungen muß das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung
sein.
(3) Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche
Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn,
dies steht seinem Wohl entgegen.
Art. 25. Rechte älterer Menschen
Die Union anerkennt und achtet das Recht älterer Menschen auf ein
würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen
und kulturellen Leben. Art. 26. Integration von Menschen mit Behinderung
Die Union anerkennt und achtet den Anspruch von Menschen mit Behinderung
auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit,
ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben
der Gemeinschaft.
IV. Solidarität
Art. 27. Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer im Unternehmen
Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder ihre Vertreter muß
auf den geeigneten Ebenen eine rechtzeitige Unterrichtung und Anhörung
in den Fällen und unter den Voraussetzungen gewährleistet sein,
die nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften
und Gepflogenheiten vorgesehen sind.
Art. 28. Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberinnen und
Arbeitgeber oder ihre jeweiligen Organisationen haben nach dem Gemeinschaftsrecht
und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht,
Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen
sowie bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung
ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen.
Art. 29. Recht auf Zugang zu einem Arbeitsvermittlungsdienst Jede Person
hat das Recht auf Zugang zu einem unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst.
Art. 30. Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung Jede Arbeitnehmerin
und jeder Arbeitnehmer hat nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen
Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter
Entlassung.
Art. 31. Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen
(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf gesunde,
sichere und würdige Arbeitsbedingungen.
(2) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine
Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche
Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.
Art. 32. Verbot der Kinderarbeit und Schutz der Jugendlichen am Arbeitsplatz
Kinderarbeit ist verboten. Unbeschadet günstigerer Vorschriften für
Jugendliche und abgesehen von begrenzten Ausnahmen darf das Mindestalter
für den Eintritt in das Arbeitsleben das Alter, in dem die Schulpflicht
endet, nicht unterschreiten. Zur Arbeit zugelassene Jugendliche müssen
ihrem Alter angepaßte Arbeitsbedingungen erhalten und vor wirtschaftlicher
Ausbeutung und vor jeder Arbeit geschützt werden, die ihre Sicherheit,
ihre Gesundheit, ihre körperliche, geistige, sittliche oder soziale
Entwicklung beeinträchtigen oder ihre Erziehung gefährden könnte.
Art. 33. Familien- und Berufsleben
(1) Der rechtliche, wirtschaftliche und soziale Schutz der Familie wird
gewährleistet.
(2) Um Familien- und Berufsleben miteinander in Einklang bringen zu können,
hat jede Person das Recht auf Schutz vor Entlassung aus einem mit der
Mutterschaft zusammenhängenden Grund sowie den Anspruch auf einen
bezahlten Mutterschaftsurlaub und auf einen Elternurlaub nach der Geburt
oder Adoption eines Kindes.
Art. 34. Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung
(1) Die Union anerkennt und achtet das Recht auf Zugang zu den Leistungen
der sozialen Sicherheit und zu den sozialen Diensten, die in Fällen
wie Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfall, Pflegebedürftigkeit oder
im Alter sowie bei Verlust des Arbeitsplatzes Schutz gewährleisten,
nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften
und Gepflogenheiten.
(2) Jede Person, die in der Union ihren rechtmäßigen Wohnsitz
hat und ihren Aufenthalt rechtmäßig wechselt, hat Anspruch
auf die Leistungen der sozialen Sicherheit und die sozialen Vergünstigungen
nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften
und Gepflogenheiten.
(3) Um die soziale Ausgrenzung und die Armut zu bekämpfen, anerkennt
und achtet die Union das Recht auf eine soziale Unterstützung und
eine Unterstützung für die Wohnung, die allen, die nicht über
ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen
sollen, nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts und der einzelstaatlichen
Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten.
Art. 35. Gesundheitsschutz
Jede Person hat das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche
Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften
und Gepflogenheiten. Bei der Festlegung und Durchführung aller Politiken
und Maßnahmen der Union wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt.
Art. 36. Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse
Die Union anerkennt und achtet den Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem
wirtschaftlichen Interesse, wie er durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften
und Gepflogenheiten im Einklang mit dem Vertrag zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft geregelt ist, um den sozialen und territorialen
Zusammenhalt der Union zu fördern.
Art. 37. Umweltschutz
Ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität
müssen in die Politiken der Union einbezogen und nach dem Grundsatz
der nachhaltigen Entwicklung sichergestellt werden. Art. 38. Verbraucherschutz
Die Politiken der Union stellen ein hohes Verbraucherschutzniveau sicher.
V. Bürgerrechte
Art. 39. Aktives und passives Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen
Parlament
(1) Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger besitzen in dem Mitgliedstaat,
in dem sie ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht bei
den Wahlen zum Europäischen Parlament, wobei für sie dieselben
Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden
Mitgliedstaats.
(2) Die Mitglieder des Europäischen Parlaments werden in allgemeiner,
unmittelbarer, freier und geheimer Wahl gewählt. Art. 40. Aktives
und passives Wahlrecht bei den Kommunalwahlen Die Unionsbürgerinnen
und Unionsbürger besitzen in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren
Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen, wobei
für sie dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen
des betreffenden Mitgliedstaats.
Art. 41. Recht auf eine gute Verwaltung
(1) Jede Person hat ein Recht darauf, daß ihre Angelegenheiten von
den Organen und Einrichtungen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb
einer angemessenen Frist behandelt werden.
(2) Dieses Recht umfaßt insbesondere
- das Recht einer jeden Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber
eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird,
- das Recht einer jeden Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten
unter Wahrung des legitimen Interesses der Vertraulichkeit sowie des Berufs-
und Geschäftsgeheimnisses,
- die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen.
(3) Jede Person hat Anspruch darauf, daß die Gemeinschaft den durch
ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit
verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ersetzt,
die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind.
(4) Jede Person kann sich in einer der Sprachen der Verträge an die
Organe der Union wenden und muß eine Antwort in derselben Sprache
erhalten.
Art. 42. Recht auf Zugang zu Dokumenten
Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie jede natürliche
oder juristische Person mit Wohnsitz oder satzungsmäßigem Sitz
in einem Mitgliedstaat haben das Recht auf Zugang zu den Dokumenten des
Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission.
Art. 43. Der Bürgerbeauftragte
Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie jede natürliche
oder juristische Person mit Wohnsitz oder satzungsmäßigem Sitz
in einem Mitgliedstaat haben das Recht, den Bürgerbeauftragten der
Union im Falle von Mißständen bei der Tätigkeit der Organe
und Einrichtungen der Gemeinschaft, mit Ausnahme des Gerichtshofs und
des Gerichts erster Instanz in Ausübung ihrer Rechtsprechungsbefugnisse,
zu befassen.
Art. 44. Petitionsrecht
Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie jede natürliche
oder juristische Person mit Wohnsitz oder satzungsmäßigem Sitz
in einem Mitgliedstaat haben das Recht, eine Petition an das Europäische
Parlament zu richten.
Art. 45. Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit
(1) Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben das Recht,
sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.
(2) Staatsangehörigen dritter Länder, die sich rechtmäßig
im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten, kann gemäß
dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Freizügigkeit
und Aufenthaltsfreiheit gewährt werden.
Art. 46. Diplomatischer und konsularischer Schutz
Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger genießen im Hoheitsgebiet
eines Drittlandes, in dem der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit
sie besitzen, nicht vertreten ist, den Schutz der diplomatischen und konsularischen
Stellen eines jeden Mitgliedstaats unter denselben Bedingungen wie Staatsangehörige
dieses Staates.
VI. Justitielle Rechte
Art. 47. Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches
Gericht
Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten
verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem
Artikel vorgesehen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf
einzulegen.
Jede Person hat ein Recht darauf, daß ihre Sache von einem unabhängigen,
unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen
Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt
wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.
Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird
Prozeßkostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist,
um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.
Art. 48. Unschuldsvermutung und Verteidigungsrechte
(1) Jede angeklagte Person gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten
Beweis ihrer Schuld als unschuldig.
(2) Jeder angeklagten Person wird die Achtung der Verteidigungsrechte
gewährleistet.
Art. 49. Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit
im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen
(1) Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden,
die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem
Recht nicht strafbar war. Es darf auch keine schwerere Strafe als die
zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden. Wird nach
Begehung einer Straftat durch Gesetz eine mildere Strafe eingeführt,
so ist diese zu verhängen.
(2) Dieser Artikel schließt nicht aus, daß eine Person wegen
einer Handlung oder Unterlassung verurteilt oder bestraft wird, die zur
Zeit ihrer Begehung nach den allgemeinen, von der Gesamtheit der Nationen
anerkannten Grundsätzen strafbar war.
(3) Das Strafmaß darf gegenüber der Straftat nicht unverhältnismäßig
sein.
Art. 50. Recht, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich
verfolgt oder bestraft zu werden Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen
er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt
oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt
oder bestraft werden.
VII. Allgem. Bestimmungen
Art. 51. Anwendungsbereich
(1) Diese Charta gilt für die Organe und Einrichtungen der Union
unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten
ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend
achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern
sie deren Anwendung gemäß ihren jeweiligen Zuständigkeiten.
(2) Diese Charta begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue
Aufgaben für die Gemeinschaft und für die Union, noch ändert
sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben.
Art. 52. Tragweite der garantierten Rechte
(1) Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten
Rechte und Freiheiten muß gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt
dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur
vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten
dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes
der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
(2) Die Ausübung der durch diese Charta anerkannten Rechte, die in
den Gemeinschaftsverträgen oder im Vertrag über die Europäische
Union begründet sind, erfolgt im Rahmen der darin festgelegten Bedingungen
und Grenzen.
(3) So weit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten
Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie
sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung
steht dem nicht entgegen, daß das Recht der Union einen weiter gehenden
Schutz gewährt.
Art. 53. Schutzniveau
Keine Bestimmung dieser Charta ist als eine Einschränkung oder Verletzung
der Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen, die in dem jeweiligen
Anwendungsbereich durch das Recht der Union und das Völkerrecht sowie
durch die internationalen Übereinkommen, bei denen die Union, die
Gemeinschaft oder alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien sind, darunter
insbesondere die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte
und Grundfreiheiten, sowie durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten
anerkannt werden.
Art. 54. Verbot des Mißbrauchs der Rechte
Keine Bestimmung dieser Charta ist so auszulegen, als begründe sie
das Recht, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen,
die darauf abzielt, die in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten
abzuschaffen oder sie stärker einzuschränken, als dies in der
Charta vorgesehen ist.
* Dieser Entwurf liegt dem EU-Gipfel in Nizza zur feierlichen Verkündung
vor.
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