Die Welt, 7.12.2000 Schröder will auf Asyl-Veto verzichten Deutsche Kompromissbereitschaft soll übrige EU-Partner zu Zugetändnissen motivieren Von Nikolaus Blome Nizza - Zahlreiche Vertreter europäischer Regierungen haben einen "Erfolg" des EU-Reform-Gipfels in Nizza beschworen. Heute früh beginnen die 15 Staats- und Regierungschefs mit ihren Beratungen, die bis Samstagnacht die Europäischen Institutionen fit machen sollen für die Aufnahme von bis zu einem Dutzend neuer Mitglieder. "Wir müssen in Nizza zum Erfolg kommen", forderte der französische Staatspräsident Jacques Chirac, der als amtierender EU-Ratspräsident Gastgeber ist. Allerdings herrschte am Mittwoch nur vorsichtiger Optimismus: "Ein Kompromiss in Nizza ist schwierig aber möglich", sagte Italiens Premierminister Guliano Amato. Unmittelbar vor Gipfelbeginn zeichnete sich an den entscheidenden Punkten der Reform noch keine Einigung ab. Strittig sind vor allem die zukünftige Größe der EU-Kommission, die Neuverteilung der Stimmen im Beschlussgremium der Mitgliedsstaaten, dem "Rat". Außerdem bestehen mehrere Staaten auf ihrem nationalen Veto. Ein möglichst breiter Übergang zu Mehrheitsentscheidungen im Rat gilt aber als Kernstück der geplanten Reform. "Wenn die EU-Staaten auf ihrem Veto in wichtigen Angelegenheiten beharren, könne dies Europa deutlich schwächen", warnte Amato. Das scheint auch die Bundesregierung so zu sehen. Außenministerium und Kanzleramt bereiteten die Details eines massiven Zugeständnisses der Deutschen vor: Nach Informationen der WELT will die Bundesregierung das nationale Veto bei der EU-Asyl- und Einwanderungspolitik aufgeben. Bislang hatte Kanzler Schröder hier den Übergang zu Mehrheitsentscheidungen blockieren wollen. Von der deutschen Kompromissbereitschaft animiert sollen nun auch andere Staaten wie Frankreich ihre nationalen Veto-Wünsche einschränken. "Jeder muss etwas in den Topf werfen", hieß es in Verhandlungskreisen. Die Bundesregierung scheint aber zu bezweifeln, dass Frankreichs Staatspräsident als erster zu einem großen Schritt fähig ist: Er steht unter innenpolitischen Druck. Wohl deshalb plant Berlin einen Vorstoß bei der Asylpolitik. Denkbar ist demnach, für bestimmte Aspekte der gemeinsamen Asyl- und Einwanderungspolitik feste Fristen zu setzen: Ist bis dahin kein einstimmiger EU-Beschluss gefallen, wird automatisch per Mehrheit entschieden. Dann könnte Deutschland allerdings überstimmt werden - auch wenn das politisch nur schwer vorstellbar ist. In der Vergangenheit hat es bei wirklich brisanten Entscheidungen nur sehr selten Kampfabstimmungen in der EU gegeben - selbst auf Feldern, wo schon seit Jahren per Mehrheit beschlossen werden darf. In den vergangenen Monaten hatten der Bundeskanzler wie der zuständige Innenminister Schily wichtige Asyl-Vorschläge der EU-Kommission abgelehnt, während eine große Mehrheit der anderen Mitgliedsstaaten durchaus gesprächsbereit war. Dabei ging etwa um eine Veränderung der Regelung über sogenannte "Sichere Drittstaaten" oder den erleichterten Nachzug der Familile eines Asylsuchenden. |