Frankfurter Rundschau, 8.12.2000 EU-Gipfel bereitet Erweiterung den Weg Gewalttätige Proteste überschatten Treffen in Nizza Von Martin Winter Begleitet von Protesten und Ausschreitungen hat am Donnerstag im französischen Nizza das EU-Gipfeltreffen begonnen, bei dem die Weichen für die Osterweiterung der Union gestellt werden sollen. Die Staats- und Regierungschefs proklamierten eine europäische Grundrechte-Charta. NIZZA, 7. Dezember. Die Erweiterung der EU rückt näher. Nach einem Treffen mit ihren Kollegen aus den Kandidatenländern zu Beginn des Gipfels kamen die Staats- und Regierungschefs der Union zu dem Schluss, dass alle Voraussetzungen für einen "erfolgreichen Abschluss" der Verhandlungen gegeben seien. Der türkische Premier Bülent Ecevit kam genauso nach Nizza wie seine Kollegen aus den zwölf Staaten, mit denen schon verhandelt wird. Die Türkei hat Kandidatenstatus, befindet sich aber noch nicht in Verhandlungen. Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac, der zur Zeit den EU-Vorsitz inne hat, versicherte, die EU wolle die Verwirklichung des "vereinten Europas". Auf dem Weg dorthin hat die Union in Nizza einen weiteren Schritt getan. Der Europäische Rat, Organ der Staats- und Regierungschefs, übernahm im wesentlichen den "Fahrplan", den die EU-Kommission vorgeschlagen hatte. Danach sollen erste Beitritte von 2003 an möglich sein. Allerdings wird der Fahrplan im Entwurf zur Schlusserklärung des Gipfels als "flexibler Orientierungsrahmen" bezeichnet. Nach dem Treffen mit seinen Kollegen aus Ost- und Südosteuropa versicherte Chirac, dass die EU Anfang 2003 aufnahmefähig sein werde. Wie das funktionieren soll, steht im Zentrum des Gipfels. Vor Beginn der Gespräche über Reformen waren jedoch keine Lösungen für die Frage absehbar, wie die Länder im Rat gewichtet und wie die künftige Kommission aussehen soll. Auch über eine Ausdehnung der Mehrheitsbeschlüsse bestand noch keine Einigkeit. Allerdings wird kaum mit einem Scheitern des Gipfels gerechnet, sondern mit seiner Verlängerung bis Sonntag. Die EU-Chefs unterzeichneten die Charta der Grundrechte. Sie umfasst 54 Artikel, darunter fundamentale Menschenrechte sowie das Verbot der Todesstrafe oder des Klonens von Menschen. Die Charta gilt als Kern einer künftigen EU-Verfassung, ist aber nicht rechtsverbindlich. Der von US-Verteidigungsminister William Cohen am Vorabend des Gipfels erhobenen Forderung, dass die militärische Planung der europäischen "Schnellen Eingreiftruppe" in Händen der Nato liegen müsse, widersprach Chirac. Man müsse sich mit der Nato "koordinieren", aber die EU-Truppe müsse "unabhängig von Shape" sein. Shape ist das militärische Hauptquartier der Nato. Mehrere hundert Demonstranten und die Polizei lieferten sich kurz vor Beginn des EU-Gipfels eine heftige Straßenschlacht. Mindestens 20 Beamte wurden nach offiziellen Angaben verletzt.
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