Frankfurter Rundschau, 9.12.2000 Rassismus per Gesetz Im Wortlaut: "Pro Asyl"-Sprecher Heiko Kauffmann zur Abschiebung Gegen "gesellschaftlichen und staatlichen Rassismus" wollen am heutigen Samstag in vielen deutschen Städten Flüchtlings- und Menschenrechtsgruppen demonstrieren. Anlass ist der Tag der Menschenrechte. In Ingelheim wird Heiko Kauffmann, Sprecher von "Pro Asyl", sprechen und sich mit den Erfindern der "Leitkultur" und der "rassistischen" Abschiebepolitik der rot-grünen Bundesregierung auseinandersetzen. Im Folgenden Auszüge aus seinem Redemanuskript: "Nirgendwo zeigen sich die inhumanen Auswirkungen des neuen Asylrechts so deutlich wie in den gegenwärtigen Bedingungen der Abschiebungshaft und der Durchführung der Abschiebung selbst. Menschen wurden und werden in Deutschland inhaftiert, ohne eine strafbare Handlung begangen zu haben. Abschiebungshaft . . . ist ein Instrument der Abschreckungsmaxime. Flüchtlinge zu zermürben, zu demütigen und zu entmündigen, um sie so schnell wie möglich außer Landes bringen zu können: Abschiebungen - egal wohin, mit fast allen Mitteln, um fast jeden Preis . . . Wir erleben gerade die Stunde der Heuchler: So richtig und wichtig die gesellschaftliche Debatte über Rechtsradikalismus und die Bereitschaft zum Handeln gegen den Terror von rechts ist: - Wenn aber der eine Teil der politischen Klasse aus politischem Kalkül weiterhin das rassistisch ausbeutbare Gefasel von der deutschen Leitkultur propagieren und - der andere Teil derselben sich darauf beschränkt, mit Appellen an die Zivilcourage und Beschwörung der ,Gemeinsamkeit der Demokraten' den wachsenden Rechtsextremismus und die Zunahme von Gewalt zu individualisieren und mit aufwendigen Maßnahmen und Programmen dagegen zu ,pädagogisieren', - dann war der ,Aufstand der Anständigen', dann war die Demonstration am 9. November nur eine proklamierte vorgetäuschte Einheitsfront gegen rechts - mehr dem beschädigten deutschen Ansehen und wirtschaftlichen Interessen geschuldet als der Sorge um die Angst und die Not der Flüchtlinge und Migranten/innen . . . Nein, gegen Rassismus und Gewalt helfen niemals allein Demonstrationen und Appelle. Der von vielen beklagte und von UN-Gremien - wie dem Ausschuss zur Beseitigung der Rassendiskriminierung - wiederholt heftig kritisierte Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland - etwa bei der Aufnahme, im Verfahren, bei der sozialen Versorgung und im gesamten System der Abschiebepraxis - ist ein Spiegelbild des gesellschaftlich transportierten und akzeptierten Rassismus. Strukturelle und institutionelle Ungleichheiten, die zu unterschiedlichen Formen rassistischer Diskriminierung führen, verletzen nicht nur die Menschenrechte und die Würde der Betroffenen: sie sind auch Nährboden für Fremdenfeindlichkeit und rechtsextreme Gewalt . . . Wer ernsthaft und glaubhaft gegen Rechtsextremismus vorgehen will, muss Flüchtlingen und Migranten/innen endlich Rechte geben und aufhören, sie per Gesetz zu Menschen zweiter Klasse zu machen! Die Erfahrungen der Flüchtlinge belegen tausendfach, was die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen zu Tage fördern und wogegen sich Menschenrechtsorganisationen, lokale Initiativen, Nichtregierungsorganisationen bis hin zu UN-Gremien seit Jahren ohne die notwendige Unterstützung des Staates und der Regierungsparteien eingesetzt haben: dass Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft und aus dem Geist der Gesetze kommt . . . Wer sich mit den Hintergründen und Ursachen von Antisemitismus und Rassismus in der Gesellschaft auseinander setzt, der muss auch nach den staatlichen Anteilen daran fragen, sprich: nach institutionellen, strukturellen und gesetzlichen Ausgrenzungen und Diskriminierungen gegenüber Flüchtlingen in Staat und Gesellschaft . . . Erst die Defizite und Mängel in diesem Bereich ermutigen rechtsextremistische Täter und geben ihnen das Gefühl, in Übereinstimmung mit einem Mehrheitskonsens zu handeln. Um die Schutzlosigkeit und Rechtlosigkeit der Flüchtlinge zu überwinden, ist die Politik deshalb gefordert, durch gesetzgeberische Maßnahmen sicherzustellen, dass sie in Deutschland nicht mehr als Menschen zweiter Klasse behandelt werden können . . . Deshalb fordern wir heute, zum Tag der Menschenrechte, die rot-grüne Regierungskoalition in Berlin auf, . . . das gesamte System der Abschiebepraxis in Deutschland . . . auf den politischen Prüfstand zu bringen und die gegenwärtige Praxis abzuschaffen."
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