Frankfurter Rundschau, 9.12.2000 Verkehrte Welt beim Asylrecht EU-Pläne bringen Union zur Verteidigung des deutschen Wegs Von Vera Gaserow (Berlin) Auf dem EU-Gipfel in Nizza steht auch die Frage des Veto-Rechts der Mitgliedsstaaten zur Diskussion. Das vorsichtige Signal von Bundeskanzler Gerhard Schröders (SPD), Deutschland könne beim Thema Asyl und Zuwanderung auf das Vetorecht verzichten, sorgt im eigenen Land für Protest aus den Reihen der CDU/CSU. Verkehrte Welt. Jahrelang galt das deutsche Asylrecht den Konservativen als zu generös. Jetzt sorgen sie sich um den Erhalt des vermeintlichen deutschen "Sonderwegs". Als "absolut inakzeptabel" kritisiert etwa CSU-Generalsekretär Thomas Goppel Schröders Andeutungen, das Vetorecht könne zur Disposition gestellt werden. Dabei war der Verweis auf die europäische Harmonisierung des Asylrechts immer die schärfste argumentative Waffe all derer, die das Recht in Deutschland aushöhlen wollten. Umgekehrt verstanden die Verteidiger des individuellen Grundrechts die Worte "Harmonisierung" und "Europa" bisher als Bedrohung. Jetzt sind es die Flüchtlingsorganisationen, die immer häufiger auf Europa verweisen, während Konservative die Beibehaltung deutscher Asylstandards anmahnen. Hintergrund für diese Verkehrung der Fronten: Es zeichnet sich ab, dass etliche europäische Regelungen deutlich über das deutsche Ausländer- und Asylrecht hinausgehen könnten. Zwei Regelungen sind es, die die Konservativen auf den Plan bringen und auch Innenminister Otto Schily (SPD) in die Rolle eines europäischen Blockierers geraten lassen: Nach den Entwürfen der Europäischen Komission soll das Recht auf Familiennachzug für Ausländer weiter gefasst werden als in Deutschland. Das Nachzugsalter für Kinder könnte von bisher 16 auf 21 Jahre erweitert und der Kreis der zuzugsberechtigen Verwandten vergrößert werden. Schily fürchtet dadurch sogar eine Verdreifachung der jährlichen Zuwanderungszahlen. Streitpunkt zwei: das Asylrecht. Tatsächlich würde der Verzicht auf ein Vetorecht Deutschland in eine schwierige Situation bringen. Es könnte sein, dass das Asylgrundrecht auf diesem Weg von Brüssel entfernt würde. Doch nicht dagegen laufen die Union und Teile der FDP Sturm. Ihre Sorge gilt dem Entwurf einer Richtlinie der EU-Komission für einheitliche Mindestnormen im Asylverfahren. Diese würden Flüchtlingen weit mehr Rechte geben, als das vermeintlich so generöse deutsche Asylrecht. Der europäische Entwurf formuliert dabei vor allem engere Bedingungen an die umstrittene Drittstaatenregelung, die Kernpunkt des im Jahr 1993 verabschiedeten Asylkompromisses war. Nach den EU-Plänen kann ein Flüchtling nur dann in ein sicheres Drittland zurückgeschoben werden, wenn er in einer "Beziehung" zu diesem Staat steht und "enge Bindungen" dorthin besitzt. Nach dem deutschen Recht reicht dagegen bereits die Durchreise eines Asylbewerbers in einem Lastwagen aus, um ihn unmittelbar an der Grenze wieder in sein Transitland zurückzuschieben. Auch der Rechtsschutz im Asylverfahren würde nach den europäischen Plänen gestärkt und das umstrittene deutsche Flughafenverfahren könnte nicht mehr so reibungslos zu Eilabschiebungen führen wie derzeit. Das CDU/FDP-regierte Baden-Württemberg hat deshalb schon auf der vorigen Sitzung des Bundesrates einen Entschließungsantrag gegen die europäischen Richtlinien eingebracht. Die EU-Pläne, so steht es im Antrag, stellten Regelungen des Asylkompromisses infrage, "die dem Missbrauch des Asylrechts entgegenwirken".
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