web de 09.12.2000 23:10 Mit dem Rücken an der Wand ergreift Barak die Flucht nach vorn Jerusalem (dpa) - Der israelische Ministerpräsident Ehud Barak hat mit seiner überraschenden Rücktrittserklärung am Samstagabend die politische Flucht nach vorn ergriffen. Schon vor knapp zwei Wochen war dem 58-jährigen Ex-General nichts anderes übrig geblieben, als - gegen seinen erklärten Willen - der Auflösung des Parlaments zuzustimmen. Doch erst die Entwicklung der vergangenen Tage zwangen ihn letztlich, selbst die Initiative zu ergreifen und eine politische Entscheidung zu erzwingen. Die Meinungsumfragen, von denen Bark freilich nicht viel hält, sehen ihn in einem absoluten Popularitätstief, und in seiner eigenen Partei baute sich wachsender Widerstand gegen den Premier auf, der sich vorwerfen lassen musste, wie ein Alleinherrscher an seiner eigenen Partei vorbei zu regieren. Führende Minister wie sein alter Rivale Schimon Peres und Chaim Ramon drohten, zusammen mit Parlamentspräsident Avraham Burg eine eigene «linke Liste» bei den für Mai erwarteten Neuwahlen aufzustellen. Ramon, Minister ohne Geschäftsbereich, attackierte Barak öffentlich und veranlasste ihn zu der Bemerkung: «Wir dürfen doch nicht (den oppositionellen) Likud mit kostenloser Wahlkampfmunition versorgen. (...) Dieses Gesabbere der Linken muss aufhören. Eine Partei, die überleben will, benimmt sich nicht so.» Mit seiner Entscheidung zum Rücktritt dürfte der einst als gewiefter Taktiker gerühmte Barak versuchen, zwei politische Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Nach israelischem Recht müssen Neuwahlen für sein Amt innerhalb von 60 Tagen stattfinden. Die regierende Arbeitspartei wird auf diese Weise zu einer schnellen Entscheidung über ihren Kandidaten gezwungen, und den innerparteilichen Barak-Gegnern bleibt nach Ansicht israelischer Beobachter nicht viel Zeit, sich zu formieren. Barak bringt aber auch die Opposition, vor allem den rechtsgerichteten Likud, unter massiven Entscheidungsdruck. Dort wehrt sich der alte politische Haudegen, Likud-Chef Ariel Scharon (72) gegen eine mögliche Kandidatur seines Amtsvorgängers Netanjahu, der nach seiner Wahlniederlage vor eineinhalb Jahren sein Mandat niederlegte und alle politischen Ämter abgab. Die Kandidatenwahl innerhalb des Likuds innerhalb so kurzer Zeit könnte die Oppositionspartei, so hofft Barak, in eine tiefe Krise stürzen, die dem amtierenden Premier wiederum helfen könnte, verlorene Wählerstimmen zurückzugewinnen. Doch Barak weiß, dass seine Flucht nach vorn auch zum politischen Selbstmord werden könnte. Denn im Dschungel der israelischen Politik sind Entwicklungen möglich, die auch ein Stratege wie der Schachspieler Barak nicht vorhersehen kann. Für den Friedensprozess mit den Palästinensern lässt Baraks Rücktritt nichts Gutes ahnen. Nicht nur Barak wusste wohl, dass es ihm kaum gelingen werde, bis zur erwarteten Parlamentswahl im Mai ein Abkommen mit PLO-Chef Jassir Arafat zu erreichen. Die Bemühungen um einen Vertrag dürfte die israelische Regierung angesichts der neuen Entwicklung zunächst auf Eis legen. Nicht zuletzt aus diesem Grund bedauerte der palästinensischen Parlamentspräsident Achmed Kurei am Samstagabend Baraks Entscheidung. «Die Palästinenser sind besorgt», meinte er in einer Erklärung: «Die nächsten zwei Monate werden eine tote Zeit für den Friedensprozess sein, denn es gibt unter diesen Bedingungen keine Chance, ein Friedensabkommen zu erreichen.» |