Frankfurter Rundschau, 11.12.2000 Nun setzt Barak auf die Gunst des Wahlrechts Wenn die Dinge laufen wie Israels Premier will, muss er bei der Abstimmung im Februar Rivalen kaum fürchten Von Inge Günther (Jerusalem) Ob es für ihn ein Canossa-Gang war, ließ sich Ehud Barak nicht anmerken, als er Sonntagmittag sein formelles Rücktrittsgesuch als israelischer Premierminister dem Staatspräsidenten überbrachte. Sein allbekanntes Robert-de-Niro-Lächeln behielt er auch dort, im Blitzlichtgewitter der Fotografen, bei. Doch sein Eingeständnis, nach gerade mal 18 Monaten im Amt keinen anderen Ausweg zu sehen, brachte ihm eigentlich nur eine Genugtuung: alle, ob oppositionelle Gegner oder innerparteiliche Rivalen, mit einem unerwarteten Schachzug noch einmal überrascht zu haben. Denn ob er aufgeht, wie von Barak kalkuliert, steht in den Sternen. Besseres blieb ihm nicht mehr, nachdem er in jüngsten Umfragen einen neuen Tiefstand erreicht hatte; die Rebellen in der eigenen Partei immer unverhohlener ihre Kritik an seinem Kurs formulierten und das erhoffte Friedensabkommen mit den Palästinensern angesichts neu entflammter Gewalt aus dem Blick geriet. So entschied sich Barak auf fast schon verlorenem Posten, das israelische Wahlrecht in einer Weise zu nutzen, die ihn zumindest begünstigt. Den Ausschlag lieferte das drohende Comeback des früheren Premiers Benjamin Netanyahu, der - obwohl in seiner rechtskonservativen Partei Likud derzeit ohne offizielle Funktion - in der Wählergunst um mehrstellige Prozentpunkte vor Barak liegt. Nach herrschender Rechtslage aber kann Baraks gefährlichster Herausforderer nicht gegen ihn antreten, wenn, wie von dem Regierungschef jetzt initiiert, allein der Ministerpräsident gewählt wird. In einer solchen, vom Parlament abgekoppelten Runde sind nur Kandidaten zugelassen, die ein Mandat besitzen. Seines hatte Netanyahu 1999 niedergelegt, um sich ganz Privatgeschäften zu widmen. Dass sich "Bibi", Hoffnungsträger eines Großteils der Opposition, einfach kaltstellen lässt, gilt freilich als unwahrscheinlich. Von einem "schmutzigen Trick" Baraks, den es zu verhindern gelte, sprach bereits der Likud-Abgeordnete Silwan Schalom. Netanyahus Getreue, offen unterstützt von der einflussreichen religiös-orientalischen Schaspartei, ziehen denn auch das gesamte juristische Register, um Netanyahu doch noch eine Kandidatur zu erlauben. Ein Wettlauf gegen die Zeit, der am leichtesten zu gewinnen wäre, falls die Knesset im Eilverfahren allgemeine Neuwahlen erzwingt. Gespannt warten darauf auch die Linken der Arbeitspartei, die gerne eine Alternative zum bisherigen Frontmann Barak benennen würden. Ihnen hat der Premier mit seinem Vorstoß den Wind aus den Segeln genommen. Ohne Netanyahu zieht ihr Argument nicht recht, dass ein anderer Spitzenkandidat wie etwa Knesset-Präsident Avraham Burg oder der Friedensnobelpreisträger Schimon Peres her müsse, um eine sichere Niederlage zu vermeiden. Der von den Demoskopen ermittelte Vorsprung von Likud-Boss Ariel Scharon ist schließlich gering genug, dass selbst Barak ihn aufholen könnte. Das hat Spekulationen genährt, wonach Scharon und Barak unter sich längst einen Deal ausgehandelt hätten. Der Zeitung Maariv zufolge sollen beide überein gekommen sein, dass, wie immer die Wahlen ausgehen, der jeweilige Gewinner mit dem Verlierer eine große Koalition beschließen wolle. Offiziell wird das dementiert. Die Entscheidung Baraks "hat mich wie jeden anderen überrascht", gab sich der Likud-Chef unschuldig. Und der Premier tat so, als ob ihm "politische Manipulationen" völlig fremd seien. Wenn überhaupt nutze er taktische Tricks nur, "um den Friedensprozess zu ermöglichen". Doch an einen baldigen Verhandlungserfolg mit den Palästinensern glaubt Barak nicht mehr. Selbst wenn es ihn vor Neuwahlen gäbe, gestand er dem israelischen Journalisten Nahum Barnea ein, würde höchstwahrscheinlich die islamistische Hamas "mit einer Terrorwelle alles in die Luft blasen". Die einzige Chance sei daher, die Wahlen in eine Art Referendum über den Friedenskurs umzumünzen. Mit seiner Rücktrittsankündigung "hat Barak sich von jeder Chance verabschiedet", schlussfolgerte der Kommentator Chemi Schalev, vor Bill Clintons Auszug aus dem Weißen Haus "noch einen Durchbruch in letzter Minute zu erzielen". In nur 60 Tagen, stimmte der palästinensische Parlamentssprecher Abu Ala zu, lasse sich kein Frieden schließen. Einziger Verlass inmitten aller Unwägbarkeiten: Am 6. Februar wird, so oder so, in Israel neu gewählt. |