Neue Zürcher Zeitung, 13. Dezember 2000 Erhöhte Spannung im kurdischen Nordirak Heftige Kämpfe zwischen zwei Kurdenparteien Irakische Truppen haben sich am Dienstag offenbar auf aussenpolitischen Druck hin aus dem kurdisch kontrollierten Gebiet des Nordiraks zurückgezogen. In der nordirakischen Provinz Suleimaniye toben heftige Kämpfe zwischen zwei Kurdenparteien. it. Istanbul, 12. Dezember Am Dienstagabend haben sich Einheiten der irakischen Armee aus der von Kurden kontrollierten Zone im Nordirak zurückgezogen. Rund 2000 irakische Soldaten hatten laut Presseberichten am vergangenen Samstag in einer überraschenden Aktion die nordirakische Kleinstadt Baadri umzingelt und Position in den umliegenden Hügeln bezogen. Die Spannung hatte während des Wochenendes gefährlich zugenommen, als der Führer der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP), Massoud Barzani, seine Kämpfer in das Gebiet verlegte. Die Kleinstadt Baadri und die umliegenden Dörfer sind die Heimat der religiösen Minderheit der kurdischen Yezidi. Baadriliegt nördlich der von Saddams Truppen kontrollierten Stadt Mosul und befindet sich innerhalb jenes Gebiets, das seit dem letzten Golfkrieg von 1991 nicht mehr von Bagdad, sondern von den Kurden kontrolliert wird. Endloser Bruderkrieg Bagdad hat den Vorstoss der irakischen Soldaten nicht dementiert. Laut irakischen Angabenhaben allerdings die Yezidi von Baadri die irakische Armee angerufen, sie zu befreien und in das irakische Mutterland wieder einzugliedern. Der überraschende Rückzug der irakischen Truppen am Dienstag erfolgte nun offenbar auf aussenpolitischen Druck hin. Die USA haben Bagdad mehrmals vor militärischen Interventionen im kurdisch kontrollierten Nordirak gewarnt. Die kurdische Führung erwarte, dass sich die Lage wieder normalisieren werde, erklärte am Dienstagabend der Vertreter der KDP in Ankara. Beunruhigend bleibt hingegen die Lage im Gebietder Stadt Suleimaniye. In dieser unweit der iranischen Grenze gelegenen Provinz toben seit Beginn des Monats wieder einmal heftige Kämpfe zwischen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) von Jalal Talabani. Die aus der Türkei stammende PKK-Guerilla verfügt laut Angaben der türkischen Armee über rund 4500 Kämpfer im Nordirak. Die Kämpfe zwischen den beiden Kurdenparteien waren erstmals Mitte September ausgebrochen. Sie endeten vorerst am 4. Oktober, nachdem die PKK einseitig einen Waffenstillstand ausgerufen hatte und die PUK nach mehreren militärischen Rückschlägen diesen offenbar hatte akzeptieren müssen. Am 3. Dezember flammten die Feindseligkeiten erneut auf. Laut der PKK nahestehenden Kreisen haben rund 4000 PUK- Kämpfer die Stellungen der PKK-Guerilla bei Kani Cenge und Bori angegriffen. Die Operation sei von türkischen Offizieren und von einem türkischen Hubschrauber unterstützt worden. Beide Seiten meldeten Dutzende von Opfern. Traum vom eigenen Staat ausgeträumt Die wiederholten mörderischen Bruderkämpfe im Nordirak sind Ausdruck der Sackgasse, in welcher sich die kurdische Bewegung befindet. Nach dem Golfkrieg hatten die Kurden die Hoffnung auf eine völkerrechtliche Anerkennung des von ihnen kontrollierten Gebiets im Nordirak gehegt. Von westlichen Ländern wurden sie darin gestärkt. Zehn Jahre danach ist der Traum eines eigenen Staats ausgeträumt. Das geographisch und politisch isolierte Gebiet verkommt wirtschaftlich, während die Kurdenführer - oft auseigenen Interessen - auf die Wünsche der umliegenden Länder eingehen müssen. Bezeichnend ist etwa, dass der Kurdenchef Talabani in Ankara weilte, kurz bevor die ersten Kämpfe zwischen der PUK und der PKK ausbrachen. Wie die türkische Presse damals berichtete, hatte Ankara Talabani militärische Hilfe versprochen. Aussichtslose Lage für die PKK Auch die Situation der PKK-Kämpfer, die im gebirgigen Grenzdreieck zwischen der Türkei, dem Irak und Iran ausharren, ist aussichtslos. Ein Grossteil der Guerilla hatte offenbar die Erklärungen ihres festgenommenen Führers Abdullah Öcalan geglaubt, wonach die Türkei eine Generalamnestie für die kurdischen Kämpfer verkünden und die Politisierung ihrer Bewegung im Rahmen eines Friedensprozesses akzeptieren werde. Dies ist nicht eingetroffen. Das am Freitag vom Parlament in Ankara gutgeheissene Amnestiegesetz sieht keinen Straferlass für PKK-Kämpfer vor. Zudem befolgt die türkische Armeeführung in der Kurdenfrage wieder einen härteren Kurs, nachdem sie zuvor aus Rücksicht auf die EU auch gemässigte Meinungen berücksichtigt hatte. In der vergangenen Woche hat der Generalstab die Politiker wissen lassen, dass kulturelle Rechte für die Kurden, etwa der Schulunterricht in Kurdisch, die Bildung eines kurdischen Nationalbewusstseins förderten und deshalb besonders gefährlich .
|